Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
Dr. Behrmann, ich würde gern mit Ihnen reden«, antwortet Bastian und hält seinen Dienstausweis vor die Fensteröffnung.
»Haben Sie diesen lächerlichen Aufmarsch extra meinetwegen veranstaltet?«
Bastian nickt. »Es war nicht so ganz einfach, Sie aufzutreiben. Ans Handy sind Sie heute Nachmittag jedenfalls nicht gegangen.«
»Wahrscheinlich kannte ich Ihre Rufnummer nicht. Ich nehme grundsätzlich keine fremden Anrufe an.«
»Trotzdem wär’s ganz praktisch, wenn ich mich kurz mit Ihnen unterhalten könnte.«
»Warum nicht. Steigen Sie ein, ich nehme Sie ein Stück mit.« Behrmann grinst.
»Sehr komisch. Ich denke, dass man uns hier durchaus einen ruhigen Raum für ein kurzes Gespräch zur Verfügung stellen kann.« Bastian bedeutet den uniformierten Kollegen, den Politiker im Auge zu behalten, und wendet sich an die Bahnangestellten, die in einiger Entfernung die Szene beobachten. »Wer ist hier der Chef?«
Alle deuten auf einen Älteren mit Halbglatze und Hängebauch.
»Habt ihr einen Aufenthaltsraum oder so etwas?«
Eine Geste weist auf den teilverglasten Betonkubus zwischen den Spuren für die Autos. Als Bastian sich wieder zu dem Lexus umwendet, sieht er, dass Behrmann gerade aussteigt und zu ihm kommt. Zu viert gehen sie zu dem Gebäude hinüber. An der Spitze der Bahnmitarbeiter, hinter ihm Bastian mit seiner blutbefleckten Hand, dann der prominente Politiker und schließlich einer der uniformierten Beamten mit immer noch gezogener Waffe. Die letzten Wagen, die gerade von der Rampe rollen, verringern ihr Tempo auf Schrittgeschwindigkeit, damit ihren Insassen auch nicht das Geringste dieses bemerkenswerten Aufmarschs entgeht. Vom Autozug ertönt vereinzelt Hupen.
Der Hauptkommissar und Jens-Uwe Behrmann betreten einen kargen Aufenthaltsraum und nehmen an einem Holztisch voller Kaffeeflecken und Kekskrümel Platz. Bastian weist den Schutzpolizisten an, seine Waffe wegzustecken, aber als Zeuge im Raum zu bleiben. Der Bahnangestellte, dem die Neugier ins Gesicht geschrieben steht, braucht eine Sonderaufforderung um zu gehen.
Kaum hat er den Raum verlassen, wird die Stimme des Berufspolitikers leutseliger.
»Sie haben mich echt neugierig gemacht, Herr … Kreuzer, nicht wahr? Worum geht’s denn eigentlich?«
Bastian antwortet mit einer Gegenfrage. »Sind Sie häufiger auf Sylt?«
»Früher war ich’s. Im Moment treibt es mich eher selten zurück auf die Insel. Meine Mutter hat hier gelebt.«
»Ich weiß. Ich war vorhin in Ihrer Wohnung.«
»Ach.«
»Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein?«
»Was sollte mir dazu denn einfallen? Ich bin erstaunt. Vor allem frage ich mich, wie Sie sich Zutritt zu der Wohnung verschafft haben.«
»War ganz einfach. Wir haben geklingelt, und Ihr Untermieter hat uns aufgemacht.« Bastian lächelt entwaffnend.
»Ach so. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Fred so schnell einziehen würde.«
»Sie duzen sich?«
»Ist das verboten?«
»Meines Wissens nicht. Nur hat Herr Hübner nichts davon erwähnt.«
»Wahrscheinlich weil er wieder mal blau war.« Die Stimme Jens-Uwe Behrmanns klingt plötzlich sehr abschätzig. »Fred ist ein armes Schwein, dem ich hin und wieder mal helfe. Ich nehme an, Sie kennen seine Geschichte?«
»Ich arbeite bei der Kripo auf Sylt. Dies ist der dritte Fall, bei dem ich ihm begegne.«
»Ja, sorry. Klar. Dann wissen Sie ja, was ich meine. Wenn Fred in seiner Wohnung ist, sieht er immer noch das Blut an den Wänden. Kein Wunder, dass er säuft wie ein Loch.«
»Ich dachte, das sei längst vorbei«, antwortet Bastian vieldeutig.
»In der Zeit zwischen seinen Abstürzen ist er trocken«, erklärt Behrmann sarkastisch.
»Um genau zu sein, interessieren mich Fred Hübners Abstürze jetzt nicht besonders.«
»Was interessiert Sie dann?«
Jens-Uwe Behrmann sieht den Hauptkommissar nicht an, sondern lässt seinen Blick über die trostlosen Wände des Aufenthaltsraums wandern. Mehrere Urlaubskarten sind mit vergilbendem Tesafilm an eine zerkratzte Kühlschranktür geklebt. Daneben steht auf einer Baumarktspüle eine schmutzige Kaffeemaschine.
Doch Bastian Kreuzer lässt dem Politiker keine Zeit, um sich zu sammeln, sondern kommt gleich zur Sache.
»Ich würde gern wissen, was in der vergangenen Nacht in Ihrer Wohnung geschehen ist. Und in der Nacht auf den Freitag der letzten Woche auch.«
Der Blick des Politikers kehrt langsam zu dem Kommissar zurück, als habe er Mühe, sein Ziel zu finden.
»Ich kann mich nur wiederholen: Fragen
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