Männer und der ganz normale Wahnsinn
ziemlich grauenvollen Sekunden aber hörte das Zischen und Schäumen auf und hinterließ die vermutlich saubersten drei Quadratzentimeter Kacheln von ganz Manhattan.
Und das, Jungs und Mädels, beschreibt ziemlich genau, was passiert, wenn meine Mutter und ich aufeinander treffen.
In dem Augenblick, in dem Nedra in meine Nähe kommt, oder ich in ihre, spüre ich, wie sämtliches Selbstvertrauen und die Unabhängigkeit, die ich mir über die letzten zehn Jahre erarbeitet habe, einfach abzischen, bis ich mich, zumindest zeitweilig, ziemlich verletzlich und entblößt fühle. Und deshalb vermeide ich es, diese Frau zu treffen. Ich meine, schließlich lasse ich mir auch meine Bikinizone nicht mit Wachs enthaaren.
Es ist nicht so, dass sie kritisch sein will, zumindest nicht mit böswilliger Absicht. Doch Nedra hat im Gegensatz zu ihren früheren Genossen ihren idealistischen Eifer noch immer nicht eingebüßt. Wenn überhaupt, dann hat sie ihn in den letzten Jahren höchstens etwas feiner geschliffen. Ich hingegen bin definitiv ein Produkt der Egoisten-Generation. Ich verdiene gerne gutes Geld, gebe es gerne aus, vor allem für tolle Klamotten, Kinokarten und angesagte Lokale. So wie ich es sehe, trage ich meinen Teil dazu bei, dass die Wirtschaft nicht zusammenbricht. Nedra jedoch kann es nicht fassen, dass ihre Gebärmutter solch ein nutzloses Kind hervorgebracht hat. Und sie hat die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, mich doch noch ändern zu können.
Das Gute aber ist, dass die Sticheleien üblicherweise nicht lange anhalten. Trotz all meiner Unsicherheiten bin ich nicht ganz so ein Schwächling, wie es vielleicht erscheinen mag. Ich kann Nedras Attacken durchaus überleben, wahrscheinlich genauso gut wie einen Tornado. Was nicht heißt, dass ich auch nur den geringsten Wunsch verspüre, nach Kansas zu ziehen. Aber jedenfalls habe ich gelernt, das Spiel mitzuspielen.
Nehmen wir zum Beispiel die jetzige Situation: Ich öffne die Tür und blicke Nedra finster an. Gehe für die paar Sekunden, die sie mir zugesteht, in die Offensive. Schließlich weiß sie nicht, dass ich einen Tipp bekommen habe.
„Nedra! Was zum Teufel machst du hier?“
„Kannst du nicht endlich mal einsehen, dass ich deine Mutter bin?“
„Genau das ist es ja, wovor ich Angst habe.“
Sie quetscht sich an mir vorbei, eine Einkaufstüte schlägt gegen ihre Beine.
„Ich dachte, ich hätte klar genug ausgedrückt, dass ich keine Gesellschaft möchte?“
„Du bist verzweifelt“, sagt sie. „Du weißt doch gar nicht, was du willst. Oder brauchst. Und gerade jetzt brauchst du die Unterstützung deiner Mutter.“
Sie betrachtet mein Outfit, ihr ganzes Gesicht strahlt Missfallen aus. Nicht was ich anhabe stört sie, sondern wie viel Geld ich dafür ausgegeben habe. Sie hingegen hat sich wie immer komplett in alte Hippie-Insignien gehüllt. Ein geblümter Rock, ein weißes T-Shirt unter einer weiten, bestickten Bluse (kein BH) und Gesundheitssandalen von Dr. Scholl.
Ich verschränke die Arme. Mein Blick verfinstert sich noch mehr. „Mach dir keine Sorgen. Das hier ist alles in Amerika hergestellt.“ Ist doch egal, dass diese Erklärung völliger Quatsch ist und wir beide es wissen – vor allem die Schuhe sehen schreiend italienisch aus –, aber selbst im schlimmsten Fall ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Nedra sich die Etiketten ansieht, um meine Behauptung zu überprüfen. Stattdessen ergibt sie sich fünftausend Jahren genetischer Prägung und macht auf jüdische Mutter, die von ihrer Tochter beleidigt wurde.
„Habe ich irgendwas gesagt?“
„Das brauchst du gar nicht. Und wie alt ist überhaupt dieser Rock?“
Sie wischt meinen Einwand mit einer Handbewegung weg und marschiert auf meine Küche zu, während ich mal wieder – sehr zu meinem eigenen Verdruss – in Ehrfurcht vor ihrem gebieterischen Auftreten erstarre.
An guten Tagen erinnert mich Nedra sehr an Anne Bancroft. Heute jedoch wirkt sie auf mich eher wie ein Travestiekünstler, der Anne Bancroft imitiert. Dicke graue Strähnen durchziehen ihr dunkles schulterlanges und nicht zu bändigendes Haar. Sie hat hervorstehende Wangenknochen, ihre Augenbrauen sind dunkle Striche über ihren fast schwarzen Augen mit den schweren Lidern; ihr Mund, den sie niemals mit Lippenstift betont, ist voll, die Lippen scharf gezeichnet. Obwohl sie nie geraucht hat – zumindest keine Zigaretten und niemals in meiner Gegenwart –, ist ihre Stimme tief und rau vom Schreien bei zu
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