Maenner weinen nicht
Kabarettistin
»Ich kann es schaffen« I
»Ich war selbstständiger Vermögensberater für ein deutsches Bankunternehmen, habe 500000 Euro im Jahr verdient und war damit die Nummer sieben in Deutschland. Ich lebte mit meiner ebenfalls sehr erfolgreichen Frau und unseren beiden kleinen Kindern in einem schönen Haus. Trotzdem – oder gerade deshalb? – stand ich eines Morgens auf der Autobahnbrücke und wollte hinunterspringen, am besten vor einen LKW. Zwei Stunden habe ich mit mir gerungen. Es fehlte nicht viel, und ich hätte es getan. Doch im letzten Moment schoss mir das Bild meiner Kinder durch den Kopf. Und ich wusste, dass ich mich nicht einfach aus dem Staub machen konnte. Dann bin ich zusammengeklappt, die Angst und Verzweiflung zogen mir einfach die Beine weg. Ich weiß nicht, wie lange ich auf der Brücke gehockt habe. Irgendwann habe ich mich wieder ins Auto gesetzt und bin zur Klinik in unserer Stadt gefahren. Sie haben mich gleich dabehalten.
Auf Station wusste ich noch immer nicht, was eigentlich mit mir los war. Ich hatte eine Krise, einen Zusammenbruch, aber irgendwie würde es schon weitergehen. Das redete ich mir zumindest ein. Denn ich wollte nicht begreifen, wie verzweifelt ich war, wie schlecht es mir wirklich ging.
Begonnen hat der ganze Wahnsinn im Jahr 2000. Ich hatte mich gerade als Vermögensberater selbstständig gemacht, und ich war richtig gut. Hab Abschlüsse gemacht ohne Ende. Aber die Bank hat immer mehr Umsatz von mir gefordert, hat Jahr für Jahr das Soll erhöht. Erst 200000 Euro pro Jahr, dann 220000, 250000, 300000. So ging das immer weiter. Und ich Idiot habe mitgemacht, bin in einen regelrechten Strudel geraten. Ich war so erfolgshungrig. Ein Workaholic, ein zweihundertprozentiger.
So ging das über Monate, über Jahre. Mit der Zeit kam die Unruhe. Ich konnte nicht mehr schlafen, saß nachts im dunklen Wohnzimmer, habe eine nach der anderen geraucht und mich durchs Fernsehprogramm gezappt. Wirklich wahrgenommen, was da lief, habe ich nicht. Aber durch das Geflimmer war ich nicht mehr so allein. Ein, zwei Stunden Schlaf, mehr Ruhe ließ mein Körper nicht mehr zu. Zigaretten, Kaffee, immer weniger Appetit. Ich wurde krank, hatte eine schwere Lungenembolie, wäre fast daran gestorben. Nach zwei Tagen habe ich mich selbst aus dem Krankenhaus entlassen, um wieder zu arbeiten. Wenig später: ein Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule. Meine Beine waren gelähmt, aber eine Rehabilitation kam für mich nicht in Frage. Unter Schmerzen hab ich mich ins Büro geschleppt, wollte wieder etwas schaffen, noch mehr umsetzen, die Vorgaben erfüllen. Nur so glaubte ich, in den Spiegel schauen zu können, wirklich etwas wert zu sein. Die Signale meines Körpers habe ich einfach verdrängt und überhört. Und das, obwohl ich schon so ausgebrannt war, mich so müde fühlte. Irgendwann fing ich an, Fehler zu machen. Habe meine Kunden nicht mehr gut beraten, ungeeignete Produkte verkauft. Das hat mich dann noch mehr unter Druck gesetzt.
Klar, meine Frau und ich haben viel gestritten, und irgendwann herrschte Funkstille. Ich hatte keine Kraft zum Reden. Alles war mir zu viel. Die Kinder waren zwar da, aber ich habe sie kaum wahrgenommen. Bin zu keinem Elternabend gegangen, habe ihre Aufführungen in Schule und Kindergarten verpasst, war bei keinem Fußballtraining dabei. Mein Körper war zwar noch da, aber innerlich war ich nicht mehr anwesend. Irgendwann ging nichts mehr. Ich löste meinen Vertrag mit der Bank, ließ mich als Berater von einem Software-Unternehmen anstellen, um endlich zur Ruhe zu kommen. Was für ein absurder Trugschluss! Ich hätte es wirklich besser wissen müssen, kenne ich doch die ganze Maschinerie in- und auswendig. Wenn es ums Geld geht, kommt man nie, niemals zur Ruhe! Dort hat mir zwar keiner mehr Vorschriften gemacht, wie viel Umsatz ich zu bringen hatte, dafür hat man mich dort gemobbt und mir meinen Erfolg geneidet. Irgendwann habe ich nur noch einen letzten Ausweg gesehen.«
Von der Erschöpfung zur Depression
Im Krankenhaus Koblenz konfrontierten die Therapeuten Christoph Haller (Name geändert) mit der Diagnose »Depression«. Anfangen konnte Haller damit zunächst wenig. Ja, er war erschöpft, aber depressiv, nein, das passte nicht zu dem Bild, das er von sich hatte. Dann schon eher dieses Burnout, von dem alle Welt redete. Die Symptome, die in diesem Zusammenhang beschrieben wurden, glichen seinen sehr: Auch er fühlte sich ausgebrannt, müde und
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