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Maenner weinen nicht

Maenner weinen nicht

Titel: Maenner weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanz Loeffler
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darüber, dass er wegen einer heftigen Darmerkrankung nicht trainieren könne. Zwei Tage vor seinem Selbstmord am 10. November 2009 sprach Enke nach dem Spiel gegen den HSV sogar im Interview über seinen vermeintlichen Darminfekt. Die Wahrheit war eine andere: Der Torhüter von Hannover 96 konnte in der Herbstsaison neun Wochen nicht im Tor stehen, weil er depressiv war.
    Enke war schon einmal sechs Jahre zuvor schwer erkrankt. Nach spielerischen Misserfolgen in Barcelona und Istanbul litt er damals unter Versagensängsten und Selbstzweifeln. Der Sportpsychiater und Psychotherapeut Valentin Z. Markser behandelte ihn damals über mehrere Monate täglich, Enke stabilisierte sich, spielte wieder erfolgreich Fußball. Er wechselte nach Hannover, wurde mehrfach zum besten Torwart der Bundesliga gewählt und war seit 2007 Kapitän von Hannover 96.
    Dann folgte im Sommer 2009 der Rückfall. Experten wissen, dass das nicht ungewöhnlich, aber durch Psychotherapie und Medikamente gut beherrschbar ist. Auch bei Enke waren sie zuversichtlich, schließlich hatte die Behandlung ja schon einmal gut gewirkt. Im Oktober 2009 begab sich Enke deshalb erneut in Behandlung bei Psychiater Markser.

    Til Mette; aus Til Mette: Dr. Doktor, © 2008 Lappan
    Bald besserte sich sein Zustand, er kehrte zum Training zurück, spielte sogar zwei Bundesligaspiele. Weitere Behandlungen oder gar eine stationäre Therapie lehnte der Hannoveraner Torwart jedoch ab. Am Tag seines Selbstmordes sagte er einen Therapieplatz in einer Klinik ab, »weil es ihm besser gehe«. Warum er diese für ihn offenbar so notwendige Behandlung verweigerte, darüber lässt sich nur spekulieren: Fürchtete er negative Reaktionen? Hatte er Angst davor, jemand könnte den wahren Grund für seinen Klinikaufenthalt und seine Fehlzeiten herausfinden? Wie enorm der Druck war, den Enke durch das Versteckspiel gespürt haben muss, kann man nur ahnen. In seinem Abschiedsbrief entschuldigte er sich für die bewusste Täuschung über seinen Zustand. Sie sei jedoch notwendig gewesen, um den Selbstmordplan auszuführen. Bis zum letzten Moment war es Enke gelungen, seine Fassade aufrechtzuerhalten.
    Auf der Pressekonferenz anlässlich Enkes Selbstmord sprachen seine Frau und sein Therapeut, aber auch Funktionäre und Aktive erstmals im Spitzensport öffentlich über die Erkrankung Depression, über die Versagensängste und leidvollen Erfahrungen des Topathleten. Wenige Jahre zuvor, im Juni 2004, als Skispringer Sven Hannawald erkrankte, war immer nur die Rede von einem Burnout. Als Sebastian Deisler wegen Depressionen ausfiel, titulierten Verantwortliche das als neurobiologische Erkrankung. »Ich würde mir wünschen, dass sich mehr prominente Sportler zu den psychischen Belastungen im Sport und den daraus entstehenden Schwierigkeiten bekennen«, sagt Markser. »Die Übergänge zwischen der Gesundheit und der Krankheit unter starken Belastungen sind fließend und können jeden treffen.«
    Doch nicht nur hierzulande wird dem Kind gern ein anderer Name gegeben. Die Wissenschaftler Ira Glick und Jessica Horsfall von der Universität Stanford haben über die Jahre immer wieder die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen bei Sportlern untersucht und bemängelt. Viel Zeit und Geld werde investiert, um die sportlichen Leistungen zu verbessern; für die Erforschung und Behandlung psychischer Erkrankungen unter Sportlern gebe es jedoch weder Interesse noch Geld.
    Erschwerend kommt hinzu, dass Depressionen bei Sportlern nicht immer leicht zu diagnostizieren sind. Häufig stehen körperliche Beschwerden im Vordergrund, und die Athleten versuchen, unangenehme Gefühle mit Drogen, Alkohol oder Glücksspielen zu beherrschen.
    Auch der ehemalige Fußballprofi Andreas Biermann flüchtete sich mit seinem Kummer ins Pokern – und entwickelte sich zum perfekten Schauspieler. Niemand habe die Chance gehabt, seine psychische Erkrankung zu bemerken, erzählte Biermann 2009 in einem Interview mit SpiegelTV . Er habe den anderen vorgegaukelt, dass es ihm seelisch gut gehe. Biermann hatte die Öffentlichkeit – ähnlich wie Kollege Enke – jahrelang getäuscht und den lebenslustigen, erfolgreichen Fußballer gemimt. Innerlich aber sei er zerrissen gewesen von Schwermut, Selbstzweifeln und Versagensängsten. Erst aufgerüttelt durch den Tod Enkes gelang es dem damals 29-Jährigen, sich seiner Krankheit zu stellen.
    Neben Enke und Biermann gibt es zahlreiche andere Sportler, die an einer Depression erkrankt

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