Maennerschlussverkauf - Roman
auch, weshalb ich nun eine Balsamicospur hinter mir herziehe. Ich tue einfach so, als würde ich das tropfende Tablett nicht bemerken, und laufe strahlend auf Tom zu. Nicht ohne mir vorzunehmen, meinen Salat künftig nicht mehr in italienischem Essig zu ertränken, egal wie lecker er auch schmecken mag.
»Hey!« Mit Herzklopfen setze ich mich zu Tom an den Tisch, der zu meiner Überraschung allein ist.
»Hey!« Seine leuchtenden Augen verraten, dass er sich wohl auch ziemlich freut mich zu sehen, und er drückt mir kurz die Hand. Glücklicherweise jene, die vom Balsamico verschont wurde.
»Was machst du denn hier ganz allein?«, frage ich ihn und wische mir unauffällig die andere Hand an der Tischdecke ab.
»Ach, ehrlich gesagt bin ich geflüchtet«, gesteht er. »Ich hatte den ganzen Morgen ätzende Meetings und brauchte einfach mal meine Ruhe. Aber mit dir zu essen ist viel besser, als Ruhe zu haben«, fügt er schnell hinzu.
»Das freut mich!«, antworte ich ehrlich und beginne ihm von der Anprobe zu erzählen. Schließlich muss er das quasi von Berufs wegen wissen. Und ihm von dem tollen Kleid zu berichten, kann grundsätzlich nicht schaden, finde ich. Immerhin soll ich der Höhepunkt der Show werden, dabei war das redaktionell gar nicht von vornherein abgesprochen.
»Also war der Termin ein voller Erfolg! Doch ehrlich gesagt habe ich bei dir auch nichts anderes erwartet«, resümiert Tom, nachdem ich zu Ende erzählt habe. »Noch ehrlicher gesagt habe ich Sven eben auf dem Gang getroffen, und er hat mir erzählt, dass ihr super Material gedreht habt!«, setzt er hinzu.
Beim Gedanken an meinen holprigen Start vorhin gefällt mir diese Aussage nicht wirklich gut, denn das klingt mal wieder eher nach Tubby Tollpatsch (Leonies Spitzname für mich, wenn wir drei Gläser zu viel getrunken haben) als nach glamouröser Laufstegprinzessin, aber gut, wir werden sehen.
»Mach dir keine Sorgen, das wird ein super Beitrag!«, ermutigt mich Tom, der entweder Gedanken lesen kann oder die aufblitzende Panik in meinen Augen bemerkt hat. »Deine ganz spezielle Art, das Authentische an dir, das ist deine große Stärke, dafür lieben dich die Zusch…« Er hält mitten im Wort inne und schaut an mir vorbei nach hinten.
Ein dumpfer Knall hat uns unterbrochen. Mit einem Mal wird es ziemlich laut in der Kantine. Also noch lauter, als es sowieso schon ist. Neugierig blicke ich mich um und kann gerade noch sehen, wie zwei Männer Vanessa aufhelfen, die anscheinend samt ihrem Tablett hingefallen ist. Fluchend zupft sie sich ein paar Spaghetti aus den Haaren und fasst sich mit angewidertem Gesicht an ihren Hintern. Er ist voller Balsamico. Schnell drehe ich mich wieder um und grinse in mich hinein. Ups.
»Ähm … ja … wie dem auch sei, dafür lieben dich jedenfalls die Zuschauer. Genau dafür«, führt Tom seinen Satz zu Ende und schaut wissend auf meinen Salatteller.
Ich ignoriere seinen Blick und spieße eine Cocktailtomate mit meiner Gabel auf. Kommentieren will ich den kleinen Unfall lieber nicht, schließlich will ich mein Glück nicht überstrapazieren. Aber mein Mitleid mit Vanessa der Schrecklichen hält sich zugegebenermaßen in Grenzen. Außerdem hat sie sich nicht wehgetan, denke ich und schaue Tom mit unschuldigen Augen und vollem Mund an. Just in dem Moment klingelt mein Handy. Die Melodie von Sex and the City ertönt in ohrenbetäubender Lautstärke, und während ich mich panisch frage, wann um Himmels willen ich mein Handy derart laut gestellt habe, krame ich hektisch in meiner Handtasche. Als ich das Telefon endlich gefunden habe, ist mir der Klingelton derart peinlich, dass ich wieder einmal den Fehler begehe, nicht auf das Display zu schauen, sondern direkt rangehe.
»Mhmaaah?«, nuschele ich in den Hörer, da mein Mund noch voller Cocktailtomate ist.
Tom betrachtet mich interessiert.
»Kind, ich bin’s, deine Mutter!«
Vor Schreck verschlucke ich mich an der Tomate und muss fürchterlich husten. Hilfsbereit klopft mir Tom auf den Rücken, natürlich nicht ohne seinen Blick von mir zu nehmen. Nachdem ich mich endlich beruhigt habe und wieder normal Luft bekomme, höre ich meine Mutter sagen:
»Kind, was ist denn los? Du klingst ja schlimmer als deine Großmutter! Hast du wieder angefangen zu rauchen oder hast du gar Lepra?«, gellt mir ihre metallische Stimme ins Ohr.
Ich unterdrücke den Impuls, ihr zu erklären, dass der letzte Leprakranke in München wahrscheinlich vor ein paar hundert Jahren
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