Märchen aus 1001 Nacht
Schmach noch hält
So weit und frei ist doch die Gotteswelt!
Lass dich in wichtiger Sache auf Boten nicht ein;
In Wahrheit hilft die Seele sich selbst allein.
Des Löwen Nacken ist so kräftig nicht,
solang es ihm an Selbstvertrauen gebricht.
Da küsste ich ihm die Hände; denn ich hatte kaum noch an meine Rettung geglaubt. Und der Verlust meines Auges wurde mir leicht, da ich dem Tode entronnen war. Ich zog aber fort, bis ich in meines Oheims Hauptstadt kam, trat zu ihm ein und erzählte ihm, was meinem Vater widerfahren war und wie mir das Auge ausgeschlagen wurde. Da weinte er bitterlich und sprach: âWahrlich, du hast mir Gram auf meinen Gram gehäuft und Kummer auf meinen Kummer; denn dein Vetter ist seit vielen Tagen verschwunden und ich weià nicht, was ihm begegnet ist und niemand kann mir von ihm Nachricht geben.â Und er weinte, bis er ohnmächtig wurde; ich aber trauerte schmerzlich um ihn. Und er wollte ein Heilmittel auf mein Auge legen; aber er sah, dass es wie eine leere Walnuss war. Da sprach er: âO mein Sohn, besser das Auge verloren als das Leben!â Jetzt aberâ so fuhr der Bettelmönch fort âkonnte ich nicht mehr über meinen Vetter schweigen, der doch sein Sohn war; und so erzählte ich ihm alles, was geschehen war. Da freute mein Oheim sich gar sehr, als er hörte, was ich ihm von seinem Sohn erzählte und er sagte âKomm, zeige mir das Grabgewölbeâ; ich aber erwiderte: âBei Allah, mein Oheim, ich weià seinen Ort nicht; ich bin zwar damals viele Male gegangen und habe danach gesucht, aber ich konnte seinen Ort nicht erkennen.â Dennoch gingen ich und mein Oheim auf den Totenacker und ich spähte nach rechts und links; schlieÃlich erkannte ich die Stätte wieder und wir freuten uns beide gar sehr. Ich trat mit ihm in das Gewölbe, wir nahmen den Mörtel weg am Grabe und hoben die Falltür auf; dann stiegen wir etwa fünfzig Stufen hinunter und als wir zum FuÃe der Treppe kamen, siehe, da stieg ein Rauch vor uns auf, der unsere Blicke verdunkelte. Nun sprach mein Oheim den Spruch, der niemanden, der ihn ausspricht, zuschanden werden lässt: âEs gibt keine Majestät und es gibt keine Macht auÃer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!â Darauf drangen wir vor, bis wir plötzlich in einen Saal kamen, der voll war von Mehl, Korn und Lebensmitteln aller Art; und in der Mitte sahen wir einen Thronhimmel, unter dem sich ein Lager befand. Mein Oheim blickte auf das Lager und fand seinen Sohn und die Dame, die mit ihm hinabgestiegen war, einander in den Armen liegend; aber sie waren schwarz geworden wie verkohltes Holz, als hätte man sie in eine Feuergrube geworfen. Und als nun mein Oheim dies sah, spie er seinem Sohn ins Gesicht und rief: âDas verdienst du, du Ekel! Dies ist die Strafe in dieser Welt; aber es bleibt noch die Strafe in jener, eine härtere und schwerere.â Er schlug ihn mit dem Schuh, als er so dalag wie ein Haufen schwarzer Kohle. Und ich staunte über sein Tun und war traurig über meinen Vetter und darüber, dass er und die Dame zu schwarzen Kohlen geworden waren; und ich sprach: âBei Allah, O mein Oheim, mache dein Herz frei von Zorn! Mein Inneres und meine Gedanken sind nur von Trauer erfüllt um das, was deinem Sohne widerfahren ist, wie er und diese Dame zu einem Haufen schwarzer Kohle geworden sind. Ist dies alles noch nicht genug für sie, sodass du ihn noch mit dem Schuh schlagen musstest?â Er antwortete: âO Sohn meines Bruders, dieser mein Sohn war seit seiner Jugend von Liebe zu seiner eigenen Schwester entbrannt; und immer hielt ich ihn fern von ihr, obwohl ich mir sagte: sie sind noch Kinder. Als sie jedoch herangewachsen waren, begann zwischen ihnen die Sünde und ich hörte davon; und ob ich es gleich kaum zu glauben vermochte, ergriff ich ihn und schalt ihn, indem auch die Diener auf ihn einredeten , mit heftigen Worten: Hüte dich vor so sündhaften Taten, die vor dir noch keiner beging und keiner nach dir begehen wird; sonst wird dein Name unter denen der Fürsten mit Schmach und Schande bedeckt sein bis ans Ende der Zeiten und die Kunde von uns wird durch die Karawanen überall ruchbar werden. Darum hüte dich, dass solches Tun von dir ausgeht! Sonst fluche ich dir und lasse dich töten! Und hinfort schloss ich sie getrennt voneinander ein; aber das verruchte Mädchen liebte ihn mit
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