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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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flackerten zum Himmel empor. Das ganze Haus wurde erfasst und brannte lichterloh.
    »Du hast mich betrogen!« rief der Alte. Dann nahm er ihn bei den Haaren und steckte ihn in den Wasserkrug. Und im Augenblick war auch das Feuer erloschen. Der Alte sprach: »Freude und Zorn, Trauer und Furcht, Haß und Lust hast du zwar überwunden; aber die Liebe hast du noch nicht ausgerottet. Wenn du nicht geschrien hättest, als das Kind getötet wurde, so wäre mein Elixier zustande gekommen, und auch du hättest die Unsterblichkeit erlangt. Im letzten Augenblick hast du versagt. Nun ist es zu spät. Jetzt kann ich mein Elixier-Brauen wieder von vorne anfangen, und du bleibst ein sterblicher Mensch.«
    Du Dsï Tschun sah, wie der Ofen zersprungen war, und statt des Steins der Weisen stak ein Stück Eisen darin. Der Alte warf die Kleider ab und zerhackte es mit einem Zaubermesser. Du Dsï Tschun nahm Abschied und kehrte nach Yangdschou zurück, wo er in großem Reichtum lebte.
    In seinem Alter tat es ihm leid, dass er damals sein Werk nicht vollendet. Er ging wieder nach jenem Berg, um den Alten zu suchen. Aber der war spurlos verschwunden.

43. Wie einer den Höllenfürsten beschimpfte
    Zur Zeit, als die Gin-Tartaren in das chinesische Reich einzubrechen begannen, dessen Nordhälfte sie an sich rissen, so dass der Sungdynastie nur noch der Süden verblieb, da lebte der treue und tapfere Feldherr Yüo Fe. Der hatte dem Heer der Tartaren schon manche Niederlage beigebracht und war im Begriff, sie gänzlich zu besiegen. Es war aber ein verräterischer und hinterlistiger Minister in China, namens Tsin Gui. Der hatte mit den Feinden einen geheimen Bund gemacht und betrieb den Friedensschluß. Auf sein Anstiften wurden dem Feldherrn Yüo Fe zwölf goldene Tafeln vom Kaiser geschickt, die ihn und sein Heer zurückberiefen. Nachher schmiedete der Verräter Tsin Gui mit dem bösen Me Ki Siä und seiner Frau, der Langzunge, geheime Pläne, um den Feldherrn Yüo Fe ins Gefängnis zu bringen. So heimlich gingen sie dabei vor, dass die Langzunge um Mitternacht, wenn sie mit ihrem Manne zusammen war, nicht zu reden wagte, sondern ihre schwarzen Gedanken mit einem Essstäbchen in die Asche schrieb und immer gleich wieder verwischte. Schließlich gelang es ihr, ein Todesurteil gegen den edlen Feldherrn und seinen Sohn zu erwirken.
    Von diesen Geschichten hörte später ein Gelehrter, namens Hu Di. Der knirschte vor Wut darüber mit den Zähnen. Eines Tages, als er betrunken war, drang er in den Tempel des Höllenfürsten Yän Lo (Yama) ein. Da sah er an der Wand vier Zeilen stehen, die vor voreiligem Reden warnten:
Der blaue Himmel alles weiß,
Ihm kann man nicht entgehen.
Und Gut und Bös’
wird recht belohnt,
Mag’s oft auch lang anstehen.
    Hu Di hatte Anstoß genommen an dem Schicksal des Feldherrn Yüo Fe. Darum ließ er sich von dem Priester einen Pinsel geben und änderte jene Worte ab:
Der blaue Himmel ist so fern,
Der Gute stirbt, der Böse siegt.
Wenn wirklich es Vergeltung gibt,
Wie käm’s, dass Treue unterliegt?
    Dann deutete er auf das Götterbild im Tempel und begann zu schelten: ,,Du blindes und taubes Götzenbild von Holz und Lehm! Fälschlich nennen dich die Menschen den Herrn der Unterwelt. Umsonst wird dir das Weihrauchopfer dargebracht. Ich werde dich von deinem Stuhle stoßen!«
    Mit diesen Worten begann er, dem Bilde mit Fußtritten zuzusetzen, und nur mit Mühe gelang es dem Priester, ihn zurückzuhalten. Weil er aber in heftiger Wut war, so stieg ihm der Wein wallend zu Kopf; er fiel auf den Boden und blieb liegen.
    Ehe er sich’s versah, hatte sein Geist die leibliche Hülle verlassen, und plötzlich sah er einen Teufel mit rotem Haar und blauem Gesicht und hervorstehenden Augen, die blitzten und leuchteten. In der Hand hielt er eine Tafel und sprach mit barschem Ton: ,, König Yän beruft dich!« Damit nahm er aus dem Ärmel eiserne Fesseln hervor, legte sie um seinen Hals und schleppte ihn hinter sich her.
    Vor sich sah er nichts als lauter gelben Sand, des Himmels Sonne konnte er nicht erkennen. Als sie lange gegangen waren, kamen sie an einen großen Berg, wo ein kalter Wind bis ins Mark der Knochen blies.
    Er fragte, was das für eine Gegend sei.
    »Das ist der Totenberg«, antwortete der Teufel, »die Grenze zwischen Menschenwelt und Unterwelt.«
    Die Felsen bildeten eine ungeheure Öffnung. Darüber stand geschrieben: Geistertorpass. Da erst wurde Hu Di gewahr, dass er gestorben sei. Mit Sehnsucht dachte er

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