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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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Schleunigst in den Ölkessel mit ihm!«
    Hu Di aber lachte und sprach: »Ich habe gehört, wen man einen Gott nennt, der ist weise und gerecht, belohnt das Gute und straft das Böse, um so das Gewissen der Menschen zu schärfen. Nun war Yüo Fe der treueste Diener seines Staates und wurde doch mit seinem Sohn zusammen in Schmach und Tod gebracht. Tsin Gui aber, der seinen Herrn verraten hat um seiner eigenen Ehre willen, genießt des Reichtums und der Würde. Wenn das der Weg des Himmels ist, dann ist es wahrlich besser, tot zu sein als zu leben. Du, o großer König, aber findest es nicht der Mühe wert, das Recht ans Licht zu bringen, sondern denkst nur darauf, deinem eigenen Zorne Luft zu machen wegen einer unbesonnenen Äußerung von mir. Daran erkenne ich, dass die Finsternis in der Unterwelt noch schlimmer ist als die bei den Menschen, und dass deine Grausamkeit, o großer König, nicht zurücksteht hinter der der irdischen Tyrannen. Ich aber fürchte mich nicht vor deinen Strafen.« Mit diesen Worten raffte er seine Kleider zusammen, verließ die Halle und begab sich zu dem Kessel.
    Da erhob sich der König, hielt ihn zurück und sprach: »Bakkalaureus Hu, du bist ein gerechter Mann, ich will mit dir über Yüo Fes Sache reden. Das Leben eines Menschen dauert nur einen Augenblick. Nur wer sich einen treuen, ehrfürchtigen, reinen und gerechten Namen gemacht, dem wird ewiges, himmlisches Leben zuteil. Du musst nicht Schmerz und Freude, die den Menschen in ihrer verweslichen Hülle begegnen, für wirkliches Glück und Unglück halten! Yüo Fe war in seinem Leben treu und gut, nach seinem Tode ward er unter die lichten Götter versetzt und genießt Schlachtopfer tausend Jahre lang und Weihrauchdüfte durch hundert Geschlechter. Tsin Gui dagegen, wenn er auch reich und angesehen ist und ein geruhiges Ende findet, so sind im Himmel doch seine Übeltaten aufgezeichnet, und der Richter der Unterwelt hat schon seine Strafe notiert. Er muss die achtzehn Höllen der zehn dunklen Örter durchlaufen und alle Arten von Schmerzen erdulden. Dann kommt er wieder auf die Welt zurück als Tier, und auch in der Menschenwelt wird er bespien und beschimpft zehntausend Geschlechter lang. So sind im Himmel, in der Hölle und auf Erden die Übeltäter verhasst, und ihr Lohn ist wahrlich nicht gering. Du hast es wohl gut gemeint, aber doch des Himmels Sinn nicht verstanden, als du mir fluchtest.«
    Als der Höllenfürst ausgeredet hatte, schwieg Hu Di. Doch war er innerlich noch immer unwillig. Da ließ jener durch den Richter das Buch des Lebens herbeibringen und gab es dem Hu Di zum Durchsehen. Da standen nun alle die Sünden und Schlechtigkeiten des Tsin Gui und die Art, wie er den Yüo Fe ins Verderben gebracht, ausführlich beschrieben.
    Der König sprach: ,,Tsin Guis Lebensfrist ist noch nicht zu Ende. In zehn Jahren muss er sterben.«
    Dann deutete er im Westen der Halle auf einen Spiegel und ließ Hu Di sich darin bespiegeln. Der blickte lange hinein. Von frühester Jugend ab bis zur Zeit, da er erwachsen war, alles, was er getan hatte, ob er auch nur ein Mückchen getötet oder eine Ameise zertreten oder aber die kleinste gute Tat vollbracht hatte, auch was er im dunklen Kämmerlein einsam mit sich selbst gesprochen hatte: nichts, das nicht im Spiegel zu sehen war.
    Der König sprach: »Das ist der Sündenspiegel. Die Menschen können mich über Gut und Böse, das sie getan, nicht betrügen.«
    Dann befahl er einem Teufel, den Hu Di auf eine hohe Terrasse zu führen, darauf stand geschrieben: Der Blick auf die Unsterblichen. Wenn man in die Höhe blickte, so sah man die Himmelsstadt mit ihren Türmen und Hallen aus Nephrit. Mitten drin sah er den Yüo Fe und seinen Sohn; beide schritten auf Wolken und waren bekleidet mit purpurnen Hüten und Drachengewändern und trugen weiße Nephritzepter in der Hand, und Wächter gingen ihnen zur Seite mit Federn und Speeren, mit Trommeln und Posaunen, und Berittene folgten ihnen hinten nach. So schritten sie einher wie die Könige. Um den Scheitel hatten sie einen runden Schein, der strahlend die Augen blendete.
    Der Teufel sprach: »Das sind Yüo Fe und sein Sohn. Sie sind schon unter die Unsterblichen versetzt, Ihr braucht Euch nicht weiter über sie zu beunruhigen, Bakkalaureus!«
    Als sie von der Terrasse herabkamen, öffnete sich vor ihnen ein weiter Raum, darinnen stand ein ungeheures Rad, das mehrere Dutzend Fuß im Durchmesser hatte. Es drehte sich knarrend, und Feuerflammen

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