Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm
Menschen Unheil bringen. Darum muss Muliän auf die Erde hinunter, um alle die hungrigen Teufel wieder zur Hölle zu bringen; dann erst darf er wieder in den Himmel zurück.«
Am Ende der Tang-Zeit brach der Aufstand Huang Tschaus aus, in dem viele Hunderttausende von Menschen ums Leben kamen. Das waren die hungrigen Teufel, die sich in die Welt gestohlen hatten. Huang Tschau aber war Muliän, der seine Aufgabe auf diese Weise erfüllte.
45. Die Blumenelfen
Es war einmal ein Gelehrter, der hatte sich von der Welt zurückgezogen, um geheimen Sinn zu erlangen. Er lebte einsam in der Verborgenheit. Um sein Häuschen herum hatte er allenthalben Blumen und Bambus und andere Bäume gepflanzt. Ganz versteckt lag es da im dichten Blumenhain. Nur einen Knaben hatte er bei sich als Diener, der wohnte in einer besonderen Hütte, um seine Befehle auszuführen. Ungerufen durfte er nicht eintreten. Der Gelehrte liebte die Blumen wie sein Leben. Nie setzte er den Fuß über die Grenzen seines Gartens hinaus.
Nun war einmal ein schöner Frühlingsabend. Blumen und Bäume standen in voller Blüte, es wehte ein frischer Wind, und der Mond schien hell. So saß er bei einem Becher Wein und freute sich des Lebens.
Plötzlich sah er im Mondschein ein Mädchen in dunklen Kleidern herbei trippeln. Sie machte ihm eine tiefe Verbeugung, begrüßte ihn und sprach: »Ich bin deine Nachbarin. Es ist hier eine Gesellschaft von Mädchen, die sind unterwegs, um die achtzehn Tanten zu besuchen. Sie möchten hier in diesem Hofe ein wenig rasten und lassen um Erlaubnis bitten.«
Der Gelehrte merkte, dass es sich hier um etwas Außerordentliches handle, darum stimmte er freudig zu. Das Mädchen bedankte sich und ging.
Nach einer kleinen Weile brachte sie eine ganze Schar von Mädchen, die Blumen und Weidenzweige trugen. Sie begrüßten alle den Gelehrten. Sie waren hübsch und fein im Gesicht und schlank und zart von Gestalt. Wenn sie die Ärmel bewegten, so strömten sie einen lieblichen Duft aus. Es gab nicht ihresgleichen in der Menschenwelt.
Der Gelehrte lud sie ein, im Zimmer ein wenig zu sitzen. Dann fragte er sie: »Wer gibt mir eigentlich die Ehre?
Kommt ihr aus dem Schloss der Mondfee oder von der Nephritquelle der Königin-Mutter des Westens?«
»Wie könnten wir uns so hoher Abkunft rühmen«, sprach lächelnd ein Mädchen in grünem Gewände. »Ich heiße Salix.« Dann stellte sie eine andere, weißgekleidete vor und sagte: »Das ist Fräulein Prunophora«, dann eine rosagekleidete: »und diese hier ist Persica«, schließlich eine in tiefrotem Gewände: »und das ist Punica. Wir alle sind Schwestern und wollen heute die achtzehn Zephirtanten besuchen. Heute abend scheint der Mond so schön, und es ist so reizend hier im Garten. Wir sind recht dankbar, dass du dich unser angenommen hast.«
»Ja, ja«, sagte der Gelehrte.
Da meldete plötzlich die dunkel gekleidete Dienerin: »Die Zephirtanten sind auch schon gekommen.«
Sogleich standen die Mädchen auf und gingen ihnen an die Tür entgegen.
»Eben wollten wir die Tanten besuchen«, sagten sie lächelnd. »Der Herr hier hat uns ein wenig zum Sitzen eingeladen. Wie hübsch trifft es sich, dass die Tanten nun auch hierher kommen. Es ist heute so eine schöne Nacht, da müssen wir einen Becher auf das Wohl der Tanten leeren.«
Darauf befahlen sie der Dienerin, die Geräte herbeizubringen.
»Kann man sich hier setzen?« fragten die Tanten.
»Der Hausherr ist sehr gut,« erwiderten die Mädchen, »und der Ort ist still und verborgen.«
Darauf stellten sie ihnen den Gelehrten vor. Er redete mit den achtzehn Tanten ein paar freundliche Worte. Sie hatten etwas Unbeständiges und Luftiges in ihrem Wesen. Ihre Worte sprudelten sie nur so heraus, und in ihrer Nähe fühlte man einen fröstelnden Hauch.
Unterdes hatte die Dienerin schon Tisch und Stühle herbeigebracht. Die achtzehn Tanten saßen obenan, die Mädchen folgten, und der Gelehrte setzte sich zu ihnen auf den untersten Platz. In kurzem stand der ganze Tisch voll mit den köstlichsten Speisen und herrlichsten Früchten, und duftender Wein füllte die Becher. Es waren Genüsse, die die Menschenwelt nicht kennt. Der Mond schien hell, und die Blumen sandten betäubende Düfte aus. Als sie vom Wein heiter geworden, standen die Mädchen auf und tanzten und sangen. Lieblich klangen die Töne durch die dämmernde Nacht, und ihr Tanz glich Schmetterlingen, die um Blumen flattern. Vor Entzücken wußte der Gelehrte nicht mehr, ob
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