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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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Zeit jedoch gebe es keine Rettung mehr. Darum warnen sich alle, die das Miau-Land besuchen, gegenseitig, keinen Becher Wasser zu berühren.

79. Schwarze Künste
    Die Wilden im Südwesten üben viele schwarze Künste. Häufig locken sie mit ihren Töchtern Leute aus dem Mittelreiche an, indem sie diese ihnen zur Ehe versprechen. Die armen Leute müssen dann Arbeit für sie tun, und die Ehe kommt schließlich doch nicht zustande. So war einmal ein Sohn aus armer Familie, der versprach sich als Schwiegersohn bei einem Wilden. Drei Jahre musste er Arbeit tun, dann ward ihm die Tochter zur Ehe versprochen. Die Hochzeit wurde gefeiert und ihnen ein besonderes Häuschen als Hochzeitsgemach hergerichtet. Die Braut war über alle Maßen schön und mochte etwa achtzehn oder neunzehn Jahre zählen. Sie ging der Sitte gemäß mit brennender Laterne ins Gemach voran. Als aber der Bräutigam die Bettvorhänge aufhob und das Lager besteigen wollte, da war das Mädchen verschwunden und nirgends zu finden. Tür und Fenster waren wohlverschlossen wie zuvor, und er wußte nicht, wo sie hingekommen war. So ging es über einen Monat lang. Tags war sie da, nachts war sie weg. Aber auch tagsüber sprach sie kein einziges Wort mit ihm. Da stieg dem Bräutigam der Argwohn auf.
    Nun war noch ein kleines Schwesterchen im Hause. Das kam beständig in den Hof zum Spielen. Als sich Gelegenheit ergab, da fragte er sie einmal über die Geschichte aus. Erst wollte sie nichts verraten. Doch mit der Zeit wußte er sie an sich zu gewöhnen durch manche Süßigkeit, die er ihr gab. Da gestand sie ihm, es sei ein Zauberkunststück. Wenn er aber in die vier Ecken des Hauses Blut von Hühnern und Hunden sprenge und rasch die Braut beim Kleid ergreife, so könne sie ihm nicht entwischen. Er tat, wie ihm das Schwesterchen gesagt, und als zur Dämmerungszeit die junge Frau herbei kam, die Tür schloss und ins Bett stieg, da trat er rasch herzu und griff nach ihrem Ärmel. Sie kam in große Not; doch konnte sie ihm nicht entwischen.
    Da sprach sie lächelnd: »Das hat dir sicher die flinke Zunge des Schwesterchens verraten. Doch war es ja nicht mein Wunsch, dir nicht Gattin zu sein, sondern der Eltern Befehl, den ich zu übertreten mir nicht getraute. Da es aber nun so gekommen ist, sind wir vom Himmel füreinander bestimmt.«
    So wurden sie denn wirklich Mann und Frau und gewannen sich von Tag zu Tage lieber. Die Eltern wußten um die Sache und hassten ihn darob im Stillen.
    Eines Tages sprach seine Frau zu ihm: »Morgen früh ist meiner Mutter Geburtstag, da musst auch du ihr deinen Glückwunsch bringen. Nun werden sie dir sicher Wein und Essen geben. Den Wein darfst du wohl trinken, doch vom Essen darfst du nichts berühren. Denk fest daran!«
    Am anderen Tag ging die Frau mit ihrem Manne in den Saal, und sie brachten ihre Wünsche dar. Die beiden Eltern schienen hocherfreut und warteten mit Wein und Süßigkeiten auf. Der Eidam trank, doch aß er nichts. Mit milden Worten und freundlichen Gebärden forderten ihn die Schwiegereltern beständig auf zuzulangen. Der Eidam wußte nicht, wie er sich retten sollte. Schließlich dachte er, dass sie es wohl nicht böse mit ihm meinen werden. Und wie er so vor sich im Teller die frischen und schönen Garnelen und Krebse sah, da aß er ein ganz klein wenig. Seine Frau warf ihm einen tadelnden Blick zu. Er schützte Betrunkenheit vor und wollte sich verabschieden.
    Die Schwiegermutter aber sprach: »Heute ist mein Geburtstag. Du musst doch auch von den Geburtstagsnudeln kosten!«
    Darauf stellte sie eine große Schüssel vor ihn hin, mit Nudeln wie Silberfäden anzusehen, mit fettem Fleisch, mit duftenden Pilzen gewürzt. Der Eidam hatte während der drei Jahre, die er im Hause war, noch nie solch köstliche Speise genossen. Verführerisch stieg ihm der Duft in die Nase, und er konnte sich’s nicht versagen, die Essstäbchen zu erheben. Seine Frau schielte nach ihm; er tat, als sähe er’s nicht.
    Sie hustete bedeutungsvoll; er tat, als hörte er es nicht. Endlich stieß sie ihn unter dem Tisch mit dem Fuße an. Da erst kam er wieder zur Besinnung.
    Er hatte noch nicht zur Hälfte ausgegessen und sagte: »Nun bin ich satt!«
    Darauf ging er mit seiner Frau zusammen weg.
    ,,Das ist eine schlimme Geschichte«, sagte seine Frau. ,,Du hast nicht auf meine Worte gehört, jetzt musst du sicher sterben.«
    Er aber glaubte noch nicht daran, bis er plötzlich im Leibe heftige Schmerzen spürte, die sich bald ins

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