Maerchen aus Malula
Eine Lüge von dir ist besser als das Gelbfieber für deinen Sohn«, antwortete der Mann barsch.
»Aber laß meinem Sohn bitte die Leber. Er braucht sie«, flehte die Frau.
»Keine Feder lasse ich zurück. Wenn du mir die Gans nicht gibst, lädst du Schuld auf dich«, fuhr der Mann sie an. Er stand auf, als wolle er das Haus verlassen.
»Ist ja gut. Es war nur eine Frage«, entschuldigte sich die Frau, gab ihm die Gans und bat ihn, für ihren Sohn zu beten.
»Ja, ja, das werde ich gleich machen«, sagte der Mann und eilte mit der Gans nach Hause.
Am Abend kam der Schneider und fragte:
»Frau, hast du die Gans zubereitet?«
»Laß mich in Ruhe mit deiner Gans. Ich wollte sie schlachten, da gab sie mir einen kräftigen Hieb mit ihrem starken Schnabel und flog davon.« Sie zeigte ihrem Mann ihre geschwollene Hand. Sie hatte sie kurz davor so lange gegen die Wand gehauen, bis sie rot angelaufen war.
»Tut mir leid. Ich hätte daran denken müssen, daß Gänse üble Federviecher sind. Morgen bringe ich dir eine andere, und die wird beim Metzger ihre miese Seele aushauchen, mein Täubchen«, sagte der Mann mitleidsvoll, und die Frau war sichtlich erleichtert, daß sie ihren Sohn vor dem Gelbfieber gerettet hatte.
Am nächsten Tag brachte der Schneider eine zweite Gans. »Hier, Frau! Ich habe sie geschlachtet. Jetzt kann sie weder fliegen noch in deine schöne Hand hacken!« Er legte die Gans auf den Küchentisch und eilte ins Geschäft.
Die Frau stellte Wasser aufs Feuer, rupfte und wusch die Gans, dann bereitete sie Hackfleisch, Reis, Pinienkerne und die Gewürze für die Füllung vor. Die Leber hob sie in einer kleinen Schüssel auf. Stundenlang werkelte die Frau. Als sie aber gerade die Leber zu Pastete verarbeitete und die gebratene Gans garnieren wollte, hörte sie jemanden an die Tür klopfen.
»Herein«, rief sie und erstarrte, als sie den Mann vom Vortag sah. »Frau, die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Die Gans konnte ich nicht genießen, und ich hätte deinem Sohn beinahe das Gelbfieber gewünscht, weil ich seinetwegen meinen Magen verdorben hatte, doch ich habe es nicht übers Herz gebracht.«
»Gott sei Dank«, murmelte die Frau. Der Mann nahm ein Fladenbrot aus einem Korb und legte die Leberpastete darauf. »Was machst du?« schrie die Frau.
»Ich muß etwas im Magen haben, sonst falle ich um. Seit gestern nacht erbreche ich mich an deiner Gans«, erwiderte er und verschlang im Nu das Brot mit der köstlichen Gänseleber.
»Aber … das …«
»Was stotterst du herum, Frau? Du hast Glück, daß ich mich mit Verwünschungen zurückgehalten habe. Mein Magen dreht sich um. Hast du etwa Gift in diese Leber getan? Sie schmeckt so merkwürdig«, schrie der Mann und faßte sich an den Bauch. Seine Augen quollen aus seinem aufgedunsenen Gesicht.
»Gift? Mein Gott«, flüsterte die Frau und schaute ängstlich den Mann an, der sich vor Schmerz auf dem Boden wälzte.
»Vielleicht hat mich der Engel der Barmherzigkeit geschickt, um deinen Sohn vor dieser giftigen Leber zu schützen. Mein Bauch, mein Bauch!« schrie der Mann und schnappte nach Luft.
»Mein Gott! Ich habe den Mann vergiftet. Was soll ich bloß machen?« stammelte die Frau aufgeregt und trocknete die Hände an ihrer Schürze ab.
»Kaffee«, stöhnte der Mann, »die Beduinen sagen, Kaffee heilt den Magen.« Die Frau eilte in die Küche, kochte jemenitischen Kaffee und würzte ihn mit Kardamom.
»Hier, guter Mann, bei uns sagt man, Kardamom stärkt die Seele.«
Der Mann richtete sich auf, schlürfte laut den Kaffee, und von Schluck zu Schluck ging es ihm sichtlich besser. »Gott schütze deinen Sohn vor den Pfeilen der bösen Blicke und vor all dem, was ihm im Verborgenen auflauert«, sprach er bedeutungsvoll.
»Du hast ein gutes Herz. Ich hätte dich beinahe umgebracht, und du hast meinem Sohn nur Gutes gewünscht. Wie kann ich dir bloß dafür danken?« fragte die Frau erleichtert.
»Sühne tut not, Frau. Gib mir die Gans, und ich werde deinen Sohn nicht verfluchen.«
»Die Gans? Aber was soll ich meinem Mann sagen, wenn er nach Hause kommt? Die Gans wäreweggeflogen? Er wird mich schlagen, er hat sie doch geschlachtet.«
»Sage ihm, die Gans wäre verhext. Du hast sie im Topf gekocht, da hat sie sich aufgelöst. Die Brühe lasse ich dir hier. Ich bin ja kein Unmensch.«
»Aber was ist, wenn er nach der Leber fragt?«
»Du sagst ihm, eine Katze habe sie gefressen und sei daran gestorben.«
»Ja, aber woher soll ich eine tote
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