Maerchen aus Malula
in dieser Stadt gefunden hat. So einen gottseligen Mann wie dich trifft man nicht alle Tage. Er ging gerade zum Markt, um ein neues Messer zu kaufen. Da kommt er, aber du sollst keine Angst haben. Er macht es geschickt und näht dir die Wunde so gut zu, daß du es nicht merkst.«
»Und ob ich das merke. Ich bin nicht fromm!« schrie der Gauner und sprang auf. Mit einem Satz erreichte er die Zimmertür, schnappte den Sack und stürzte hinaus. Beinahe hätte er den Schneider umgerannt.
»Was ist mit dem Mann los?« staunte der Schneider.
»Renn hinter ihm her, Mann! Das ist der Mönch, dem ich eine Gans versprach. Er ist aber schwerhörig. Er glaubte, ich hätte ihm mein Wort für zwei Gänse gegeben. So nahm er beide und rannte davon, weil er es eilig hatte. Er muß sein Mittagsgebet verrichten.« Der Schneider stellte die Einkaufstüte auf den Tisch und rannte hinter dem Gauner her.
»Nur eine, guter Mann! Nur eine!« rief er laut.
»Nie im Leben! Keine gebe ich dir«, rief der Gauner zurück.
»Ich will dir doch nichts tun. Eine für mich, und eine bleibt für dich«, erboste sich der Mann und rannte noch schneller, um den Gauner einzuholen.
»Du bist wahnsinnig. Und wenn du auch stirbst, ich gebe dir keine!« rief der Gauner und bekam Angst, da der Schneider immer näher kam.
»Wenn du so stur bist«, schrie der Schneider, »dann will ich beide haben. Auf der Stelle.«
»Beide? Hilfe! Haltet den Verrückten!« rief der Gauner, warf den schweren Sack zu Boden und raste davon.
»So ein Dummkopf«, bedauerte der Schneider, nahm den Sack und kehrte heim. Als er dort ankam, hatte seine Frau schon einen Kaffee aufgesetzt.
»Ruh dich aus, mein Herz. Du hast es ihm gegeben«, rief sie ihm entgegen.
»Von wegen. Er wollte entweder beide oder keine«, erwiderte ihr Mann enttäuscht und setzte sich auf einen Hocker. Er wunderte sich über das helleLachen seiner Frau und noch mehr über die Stoffreste und den Weißkohl, die er aus dem Sack herausholte. Doch beim Kaffee erzählte ihm seine Taube von ihrer List, und beide lachten Tränen über den Gauner.
DER KORB DER WÜNSCHE
oder
DER TRAUM
DER HUNGERNDEN
In den alten Zeiten gingen die Malulianer selten nach Damaskus, und wenn einer es doch tat, so wußten seine Freunde und Verwandten schon Wochen zuvor von der Fahrt. Sie kamen am Abend vor der Abreise, verabschiedeten sich vom Reisenden und trugen ihm ihre Wünsche auf.
Machul war ein gutmütiger Bauer, und als er mit fünfunddreißig zum ersten Mal in die Hauptstadt fahren wollte, kamen die Freunde und Verwandten scharenweise zu ihm. Sein bester Freund Ziki brachte ihm ein schwarzes Lamm und trug ihm auf, er solle ihm dafür Stiefel mitbringen. Die Schuhgröße brauchte Ziki nicht zu nennen, da er ein Koloß war und die größten Stiefel in Damaskus ihm gerade noch paßten. Machuls Bruder brachte ein weißes Lamm und bat ihn, dafür eine Jacke zu kaufen, aus gutem Stoff, und billig sollte sie sein. Sein Vetter väterlicherseits brachte eine Ziege und wünschte sich dafür eine Hose, so schön wie die des Ortsvorstehers. Sein Vetter mütterlicherseits brachte ein Zicklein und bat ihn, Salz, Pfeffer, Kaffee, Tee und Süßigkeiten für die Kinder dafür zu kaufen. Die Versammelten witzelten, ob der Vetter für das ausgemergelte Zicklein nicht auch noch eine Perlenkette haben wolle. Für fünfzig Eier wollte seine Schwester genug Stoff für drei Sommerkleider haben.
Dabei hätte sie von Glück reden können, wenn sie für die kleinen Eier Stoff für eine Schürze bekommen würde. Seine schöne Schwägerin wünschte sich für fünf Piaster Rosenwasser und Orangenblütenöl. Machul wußte nicht, daß der Händler für fünf Piaster nicht einmal die Parfumflaschen öffnen würde.
Verwandte können lästiger werden als Fliegen, doch der sanftmütige Machul wiederholte nach jedemWunsch: »Gern werde ich dir deinen Wunsch erfüllen.« Er selbst brauchte nichts aus der Stadt.
Er wollte nur die vielgepriesene Schönheit der Gärten und Paläste von Damaskus endlich einmal genießen.
Am nächsten Tag stieg Machul auf seinen Esel und trieb die Lämmer und Ziegen auf dem Weg in die große Stadt vor sich her. Er winkte ein letztes Mal und rief seinen Freunden und Verwandten zu: »Hoffentlich finde ich diese Stadt Damaskus!«, und die Freunde lächelten über seine Sorge, denn Damaskus war nur etwa einen eintägigen Eselsritt von Malula entfernt.
Am späten Abend erreichte Machul die Stadt. Die Reise mit den
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