Märchen unter dem Wüsenhimmel
herrschte bereits eine sengende Hitze in der weiten Wüste von El Bahar. Heather spürte Schweiß auf dem Rücken und Trockenheit in der Kehle, aber sie wollte nicht umkehren. Es war für sie die schönste Tageszeit, seit sie und Jamal der Woche zuvor begonnen hatten, gemeinsam auszureiten.
„Machst du schon schlapp?“, fragte Jamal.
„Noch lange nicht.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln und trieb den Hengst an. Der Araber ertrug die Hitze wesentlich besser als sie, denn er war in diesem Klima geboren und aufgezogen worden.
Sie galoppierten zu der einladenden Oase, in der sie zu rasten pflegten. Des Öfteren begegneten sie Dora und Khalil am Ufer des kühlen Gewässers, aber an diesem Morgen lag es verlassen da.
Sie zügelten die Pferde und stiegen ab. Jamal nahm die Feldflasche aus der Satteltasche und reichte sie ihr. Sie trank begierig und reichte sie ihm zurück.
„Ende September ist die schlimmste Hitze in London vorbei“, sagte er und setzte damit das Gespräch fort, das sie zu Beginn des Ausritts angefangen hatten. „Ich schlage vor, dass wir dann hinfahren.“
Heather lachte. „Wir befinden uns im Sommer mitten in der Wüste. Wie kannst du dir da über die Hitze in London Gedanken machen?“
Er zuckte die Achseln. „Außerdem geht es um die Touristen. Im Herbst sind nicht mehr so viele da.“
„Hast du Angst, dass du erkannt wirst?“
„Es ist schon vorgekommen.“
„Das kann ich mir denken.“ Bewundernd musterte sie ihnin dem weiten hellen Hemd, das seine breite Brust betonte. Sein dunkles Haar glänzte im Schein des untergehenden Mondes, und sie konnte gerade eben seine markanten Züge erkennen. Sie zweifelte nicht daran, dass Touristen jeglicher Nationalität ihn faszinierend fanden.
„September ist mir recht.“ Sie setzte sich auf das kühle Gras und strich mit beiden Händen über die federnden grünen Halme, die in weniger als einer Stunde unter der sengenden Sonne leiden würden.
„Ich möchte mit dir ins Theater gehen“, verkündete er, während er sich neben sie setzte. „Mehrere neue Stücke werden aufgeführt. Eines davon ist ein Musical. Ich glaube, dass es dir gefallen wird.“
Sie musterte seine lässige Pose und die Art, in der er die Hände bewegte, wenn er sprach. Sie liebten sich beinahe jede Nacht, und er war stets geduldig und zärtlich und achtete darauf, sie nicht zu erschrecken. Er war ein gütiger, aufmerksamer und rücksichtsvoller Mensch, geradezu ein Traummann. Er erkundigte sich nach ihrer Gesundheit, interessierte sich für ihre Pläne, ihre Träume. Sie sprachen über ihre Arbeit und seine. Sie hatte ihn sehr gut kennengelernt. Aber er war auch ein völlig anderer Mensch.
Denn er fuhr fort, seine Geliebte zu treffen. Sie führte ein Doppelleben und wusste nicht, wie sie dem Einhalt gebieten sollte. Dutzende Male hatte sie ihm die Wahrheit sagen und die Konsequenzen akzeptieren wollen. Aber wann immer er sie in die Arme nahm und ihr gestand, wie sehr er sie begehrte, konnte sie ihm nicht widerstehen. Sie liebte ihn und war bereit, sogar eine Lüge zu leben, um ihn nicht zu verlieren.
Gleichzeitig befürchtete sie, dass er Honey mehr ins Herz schließen könnte als sie selbst. Die Tatsache, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte, verwirrte sie nur. Was als harmloser Versuch begonnen hatte, die Aufmerksamkeit ihres Ehemanneszu erringen, hatte sich in eine äußerst schwierige Situation verwandelt, die sie nicht länger unter Kontrolle hatte.
Außerdem überschattete Yasmins Geist ihr Leben. Was war, wenn er niemals mit der Vergangenheit abschließen konnte? Was war, wenn sie diese Qual umsonst durchstand? Sie träumte davon, dass er ihr seine Liebe gestehen und mit Honey Schluss machen würde. Sie wusste, dass sie sich wie ein Kind benahm, das nach den Sternen griff, aber ihr Herzenswunsch war nicht durch Logik zu verdrängen.
„Du siehst so ernst aus“, bemerkte er und berührte ihre Wange. „Was ist? Woran denkst du?“
„Es ist nichts weiter. Ich bin nur ein bisschen müde. Wahrscheinlich habe ich mich noch nicht an die Hitze gewöhnt.“
Er nahm ihre Hand. „Vermisst du Amerika? Hast du Heimweh?“
Seine Frage überraschte sie. „Überhaupt nicht.“ Sie drückte seine Hand. „Mein Leben ist hier in El Bahar. Ich habe mir immer gewünscht, dass es mein Zuhause ist.“
„Und jetzt ist es so.“ Er lächelte sie an. „Ich bin froh, dass du hier bist, Heather. Zuerst war ich sehr besorgt wegen unserer Ehe. Ich hatte Angst, dass
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