Märchensommer (German Edition)
verschwenden“, murmelte ich, als Charlene die Kerzen auspustete.
Julian stieß mich dafür leicht in die Rippen. „Sei nett.“
Charlene stand gerade von ihrem Stuhl auf und holte tief Luft. Dann sprach sie so laut, dass selbst die Leute an dem Tisch ganz hinten sie noch hören konnten. „Danke, dass ihr heute alle gekommen seid, um mit mir zu feiern!“ Ihr Blick ruhte dabei ausschließlich auf mir. Und dass sie nicht französisch sprach, sodass alle anderen sie auch hätten verstehen können, ließ keinen Zweifel offen, dass ihre Rede für mich bestimmt war. Ich sah sie über den langen Tisch hinweg finster an und knirschte dabei mit den Zähnen. Obwohl sich mein Ärger in diesem Augenblick ja genau genommen gegen jemand ganz anderen richtete.
Als sie begann, den Kuchen aufzuteilen, ergriff ich die Gelegenheit und stand vom Tisch auf. „Wohin willst du?“, fragte Julian, packte mich am Handgelenk und zog mich zurück auf die Bank.
„Egal, wohin. Hauptsache weg von hier. Ich brauche frische Luft“, zischte ich ihn an.
„Wir sind draußen . Hier sollte die Luft wohl frisch genug sein.“
Ich lehnte mich weiter zu ihm hinüber, bis wir uns über zehn Zentimeter hinweg düster in die Augen blickten. „Ja vielleicht. Aber ich habe nicht vor, neben einem Verräter sitzen zu bleiben.“ Damit riss ich meine Hand los und stürmte davon—in einen Teil der Weinberge, der nicht von diesen ekelhaften Geburtstagslampions ausgeleuchtet wurde.
Kaum war ich weg von den Lichtern und der feiernden Menge, kroch ein kalter Schauer meine Arme hoch. Im Schein des Mondes stakste ich zwischen den Weinreben zurück zum Haus. Hinter mir rief Julian meinen Namen. Das Ende der Weinberge lag noch gut zwanzig Meter vor mir, als er mich eingeholt hatte, meinen Arm ergriff und mich herumdrehte.
„Fass mich nicht an!“, fauchte ich.
Julian ließ mich augenblicklich los. „Jona, bitte. Es tut mir—“
„Nein! Ich will es nicht hören! Verstehst du? Es interessiert mich nicht!“ Ich fuhr herum und stapfte weiter in Richtung Haus. Sollte er doch zur Hölle fahren. Wenn ich jetzt meinen Ärger nicht rausließ, könnte es leicht passieren, dass ich stattdessen irgendetwas auf dem Weg in mein Zimmer zerbrechen müsste.
Das Kleid schwang unheilvoll um meine Knie, als ich mich noch einmal zu Julian umdrehte. „Du hast mich reingelegt! Du Verräter! Wie konntest du nur so mit mir spielen?“
„Ich wollte dich nicht hintergehen. Aber du hast mir ja keine andere Wahl gelassen. Sie ist deine Mutter. Und heute ist ihr Geburtstag. Wahrscheinlich ihr letzter in diesem Leben.“ Sein Ton war so bedrückt, dass ich bei seinen Worten eine Gänsehaut bekam. „Sie hat sich nichts weiter gewünscht, außer heute mit dir feiern zu können. Kannst du ihr nicht einmal diese kleine Freude machen? Ich verstehe, dass es dir schwerfällt, ihr zu vergeben. Aber willst du wirklich, dass deine Mutter mit einem gebrochenen Herzen stirbt? Willst du das? “
Wollte ich es nicht?
Ich erinnerte mich an ihren hoffnungsvollen Blick, als sie die Kerzen auspustete. Wie fühlte es sich an, wenn einem die Zeit davonlief? Zu wissen, dass der Tod bereits um die Ecke lauerte und man seinen letzten Wunsch nicht mehr erfüllt bekommen würde.
Hör auf , darüber nachzudenken!
„Willst du wissen, was mich an der Sache wirklich stört? Dass von allen Leuten hier ausgerechnet du mich belogen hast. Du hättest mir sagen können, dass es um meine Mutter geht. Denn nur für dich wäre ich wahrscheinlich sogar mitgekommen.“ Ich konnte kaum noch meine Tränen zurückhalten, die mir bereits den Hals zuschnürten. „Und jetzt verrat mir eins, Julian. Waren der Ausflug zum Strand und der Kuss nur Teil deines Plans, um mich zu dieser gottverdammten Party zu schleifen?“
Julian machte ein ernstes Gesicht. Kleine Fältchen entstanden über seinen Brauen. „Nichts davon war Teil irgendeines bescheuerten Plans.“ Er streckte die Hand nach mir aus, doch ich wich zurück.
„Ich sag dir, was bescheuert ist. Dieses saudumme Kleid. Was hattest du vor? Wolltest du mich einpacken wie ein Geschenk?“ Meine Finger gruben sich in den weichen Stoff. „Wenn ich könnte, würde ich es mir auf der Stelle vom Leib reißen!“
Julian zog seine rechte Augenbraue hoch und forderte mich damit heraus, meine Drohung wahrzumachen. Am liebsten hätte ich ihn für das dämliche Grinsen geohrfeigt. Mit verkrampften Gliedern blieb ich wie angewurzelt stehen, selbst als er näher kam und
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