Märchensommer (German Edition)
stieg in meiner Kehle auf. „Ich werde das tun, was mir der Richter auferlegt hat und die restlichen sechs Wochen bis zu meinem Geburtstag auf dem Feld einer Tante, die ich nicht einmal kenne, Zwangsarbeit leisten. Das ist nicht unbedingt lang genug, um eine tolle Zukunft zu planen. Sobald die Strafe erfüllt ist, komme ich zurück nach London und fang mein richtiges Leben hier an. Ohne dich. So wie ich es in den letzten dreizehn Jahren getan habe.“
„Mit der Polizei dicht auf deinen Fersen und Abe Smith, der immer eine Zelle für dich freihalten wird?“
Es war nicht einmal so sehr Quinns Versuch, die Stimmung mit einem Scherz zu heben, der mich in diesem Moment wurmte, sondern vielmehr Julians Schmunzeln, als sich unsere Blicke über der Kerzenflamme trafen.
Ich richtete mich auf und ballte meine Fäuste um das Tischtuch in meinem Schoß. „Ich bin nicht der Schwachkopf, für den ihr mich offenbar alle haltet. Und wenn es bedeutet, dass ich zehn Stunden am Tag in einem Pub wie diesem Teller waschen muss, um mir mein Geld zu verdienen, dann ist das mit Sicherheit nur halb so schlimm wie die Hölle, in die ich morgen früh geschickt werde.“
Brennende Tränen sammelten sich in meinen Augen. Nachdem es ein halbes Leben gebraucht hatte, bis sie sich nach oben gekämpft hatten, konnte ich sie auch nicht so einfach wieder wegblinzeln. Ich sprang von meinem Stuhl auf, wodurch dieser nach hinten kippte und mit lautem Geklapper auf die Steinfliesen knallte. Wenn der Drache und ihr kleiner Freund vorhatten, heute Nacht noch einen auf ihren Sieg über mich zu trinken, dann musste ich bei Gott wirklich nicht dabei sein.
Ich rannte in Richtung Ausgang. Neugierige Blicke folgten mir von überall im Raum und stachen mir in die Brust.
Draußen bekam ich erst mal eine Ohrfeige von der frischen Luft verpasst. Die Tür fiel langsam hinter mir zu.
Lauf! , schrie eine Stimme in meinem Kopf. Aber wohin? Die tapfere Ansprache gerade eben war doch nichts weiter als ein kläglicher Versuch, mich selbst zu belügen. Kaum in der Lage, die Mathehausaufgaben eines Abschlussklässlers zu bewältigen, konnte ich mir nicht vorstellen, dass mir London viel bieten würde. Niemand würde mich für einen ansehnlichen Job einstellen, nur weil ich Jane Austen auswendig zitieren konnte.
Mit dem Bund meines Ärmels wischte ich mir die Tränen von den Augen, bevor sie meine Wangen runterrollen konnten. Die harte Wand hinter mir spendete leider nur wenig Trost. Ich neigte meinen Kopf nach hinten und betrachtete den Sternenhimmel. Es konnte doch unmöglich meine Bestimmung sein, eines Tage in einer von Abes stinkenden Gefängniszellen zu sitzen.
Neben mir ging die Tür auf und eine großgewachsene Person kam heraus. Durch den Tränenschleier in meinen Augen dauerte es einen Moment, bis ich Quinn erkannte.
„Da steckst du also“, sagte er mit ruhiger Stimme und lehnte sich ebenfalls mit dem Rücken neben mich an die Wand. „Ich hatte schon befürchtet, ich würde den Rest der Nacht damit zubringen, die Straßen nach dir abzusuchen.“
Ich blinzelte ein paar Mal, sah ihn dabei kurz an, blickte dann aber wieder hoch in den Nachthimmel. „Es gibt keinen Ort, wo ich hingehen könnte. Keiner will mich haben.“
Quinn nahm meine Hand. „Ich hab da drin gerade eine Frau kennengelernt, die dich unbedingt wiederhaben möchte. Und außerdem hab ich von einer Handvoll weiterer Menschen gehört, die dich nur allzu gern in ihrem Haus aufnehmen würden. Lass doch einmal deinen Stolz beiseite, Kleine, und erkenn die tolle Chance, die sie dir gerade bieten.“
„Warum willst du mich unbedingt in den Rachen des Löwen schubsen? Du hast doch selbst ihr falsches Getue gesehen“, fauchte ich. „Das Einzige, was diese Frau will, ist ein reines Gewissen, bevor sie den Löffel abgibt.“
„Kannst du ihr das wirklich verübeln?“
Angewidert zog ich meine Hand aus seiner. „ Herrgott nochmal, Quinn, auf welcher Seite stehst du eigentlich?“
„Auf deiner, Jona. Siehst du das nicht?“ Ohne Vorwarnung zog mich Quinn in eine Umarmung, die mir die Luft abdrückte. „Seit dem Tag, an dem du zum ersten Mal an meinen Schreibtisch stolziert bist und deinen Hintern auf einen Stapel mit Fällen gepflanzt hast, habe ich auf so eine Wendung für dich gehofft. Du warst die frechste Rotzgöre, die mir je untergekommen ist. Aber ich wusste immer, da steckt mehr dahinter.“
Er streifte mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Warum gibst du deiner Mutter nicht
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