Märchensommer (German Edition)
mein Zuhause.“
„Nach deinem dramatischen Abgang gestern Abend, war ich gar nicht mehr so sicher, ob ich dich überhaupt heute hier finden würde.“
„Oh, wie schlimm muss es dann für dich gewesen sein, dass das Zimmer vorhin leer war, als du einfach eingebrochen bist. Besonders nachdem du doch gestern bei Gericht so viel Vertrauen in mich gesteckt hast.“ Ich griff nach dem Buch auf dem Stuhl neben meinem Bett, nahm den Bleistift heraus, der mir gestern Nacht als Lesezeichen gedient hatte, und ließ ihn in meinen Rucksack fallen. Das war der einzige Stift, den ich besaß, und ich würde ihn bestimmt nicht zurücklassen. „Ich bin sicher, du und der Drache, ihr hättet keine Minute gezögert, um die ganze Stadt nach mir abzusuchen.“
Ganz lässig machte Julian einen Schritt auf mich zu und durchbrach, ohne zu zögern, meinen persönlichen Bereich. Ich kaute auf der Innenseite meiner Wange herum, doch ich bewegte mich keinen Zentimeter, als er seinen Kopf auch noch zu mir runter neigte. „Mit deiner vorlauten Klappe hätten wir dich binnen Minuten gefunden“, hauchte er. Sein warmer Atem kitzelte mich hinterm Ohr.
Ungewollt seufzte ich und atmete dabei seinen Duft ein. Irgendwie roch er total verführerisch nach … stürmischem Wind und Ozean. Mein harter Panzer drohte darunter zu schmelzen, als eine alte Erinnerung wieder hochkam. Miss Mulligan hatte uns alle einmal mit ans Meer genommen. Den ganzen Tag war ich barfuß durch die Wellen gelaufen, die sachte an den Strand rollten. Ich schloss kurz meine Augen und konnte beinahe wieder den Sand von damals zwischen meinen Zehen spüren.
„Bist du fertig?“ Julians Stimme kam diesmal von hinten.
Ich blinzelte gegen die Sonne, die durch das verstaubte Fenster hereinbrach, und drehte mich dann um. „Hab ich eine Wahl?“
„Ah … nein.“ Sein verschlagenes Grinsen verspottete mich aus drei Metern Entfernung. Er hob meinen Rucksack auf und marschierte anschließend zur Tür hinaus. Wie nett, dass er mir diese Last abnahm. Doch im Vergleich zu der unvermeidbaren Präsenz meiner Mutter, war das nur eine kleine Last.
Ein letztes Mal noch ließ ich meinen Blick durch den kleinen Raum im dritten Stock schweifen. Es war, als würde ich einen Teil von mir zurücklassen. Schließlich war dies über Jahre mein Zuhause gewesen. Trübselig schloss ich letztendlich die Tür.
„Sieht aus als wäre der Aufzug heute außer Betrieb“, meinte Julian, als ich ihn einholte. „Wir müssen die Treppe nehmen.“
„Der Aufzug ist außer Betrieb, seit ich hier eingezogen bin.“
Er machte kurz ein irritiertes Gesicht.
„Was hast du erwartet?“, spottete ich. „Das Grand Plaza?“
Mit einem Kopfschütteln ging Julian etwas schneller. Auch wenn ich sein Gesicht gerade nicht sehen konnte, war ich mir ziemlich sicher, dass er gerade die Augen verdrehte.
Drei Stockwerke gaben mir die ausgedehnte Möglichkeit, Julian ganz genau von hinten zu betrachten. Unter seiner locker sitzenden Jeans zeichneten sich die Muskeln seiner Pobacken bei jedem Schritt auf dramatische Weise ab. Mmm … faszinierend. Eigentlich lag mir ja nichts ferner, als Julian auf den Arsch zu gaffen. Aber irgendwie konnte ich meine Augen auch nicht davon losreißen. Oh Mann.
Zwischen dem ersten und zweiten Stock warf er kurz mal einen Blick über seine Schulter.
„Hast wohl gedacht, du hättest mich verloren“, stichelte ich.
„Bei dir weiß man nie.“ Er drehte sich beruhigt wieder nach vorne.
Unten angekommen, ließ er meinen Rucksack zu Boden fallen. Anschließend pflanzte er seinen süßen Hintern auf die zweite Stufe und lehnte sich mit den Ellbogen auf die Oberschenkel. Eine kleine Spinne husche unter seinen Beinen hindurch und verschwand blitzschnell in einem Mauerspalt. Julian neigte seinen Kopf und blickte zu mir hoch. „Erzähl mir bitte nicht, dass du diesen Ort hier vermissen wirst.“
Ich zuckte erst mit den Schultern und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Du solltest mal im Winter herkommen, wenn die Mäuse einziehen, um sich ein warmes Mahl in der Küche zu stibitzen.“
Julian zog die Brauen hoch, so als ob er mich anflehen würde zuzugeben, dass das gerade nur ein Scherz war. Ich verlagerte mein Gewicht auf ein Bein, spiegelte sein Brauen-Hochziehen und forderte ihn stillschweigend heraus, mich einen Lügner zu nennen. Leider schluckte er den Köder nicht.
„Tja, in deinem neuen Zuhause wirst du wohl ohne diese flinken Gefährten auskommen müssen. Der
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