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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
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begrüßen?“
    „Eigentlich hab ich die beiden gebeten, erst morgen vorbeizuschauen. Ich wollte nicht, dass Jona an ihrem ersten Tag gleich mit zu vielen fremden Gesichtern überfordert wird.“ Mit einem unlesbaren Ausdruck in den Augen sah er kurz zu mir rüber.
    Ich wollte gerade ein Stück Brokkoli, das ich mit meiner Gabel aufgespießt hatte, in den Mund schieben, doch ich legte die Gabel stattdessen zurück auf den Teller. Ein seltsam leeres Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Ich konnte nicht verstehen, warum er plötzlich so nett zu mir war, wo er sich doch den ganzen Tag über benommen hatte wie ein Arsch. Na ja, vielleicht nicht den ganzen Tag.
    Marie reichte Julian und Albert eine zweite Portion Hühnchen und blickte dann zu Julian. „Das war sehr rücksichtsvoll von dir.“
    „Ja, überaus rücksichtsvoll.“ Innerlich zuckte ich bei meinem zynischen Tonfall zusammen, wo ich doch eigentlich nichts weiter als danke sagen wollte. Keine Ahnung, wer Valentine und Henri waren oder warum ich die beiden überhaupt kennenlernen sollte, doch Marie und Albert waren für einen Tag schon genug Fremde, mit denen ich mich herumschlagen musste.
    Nach dem Essen gingen alle rüber in das große Wohnzimmer mit Flügel und Kamin. Nur meine Tante blieb in der Küche zurück. Ich beschloss ihr beim Saubermachen zu helfen, anstatt mich zu den anderen zu gesellen.
    „Lass nur, Chérie “, sagte Marie und nahm mir die schmutzigen Teller aus der Hand. „Warum gehst du nicht auch rüber ins Wohnzimmer und machst es dir mit deiner Mutter und den anderen gemütlich?“
    „Ah, lieber nicht.“ Während des ganzen Essens war ich den hoffnungsvollen Blicken meiner Mutter erfolgreich ausgewichen, da wollte ich mir den Abend nicht noch dadurch verderben lassen, dass ich noch mal in einen Raum mit ihr gesteckt wurde. Egal, für wie lange.
    Meine Tante legte mir beide Hände auf die Wangen. „Es war ein langer Tag für dich. Ruh dich aus. Morgen werde ich dir dann die Weinberge zeigen.“ Sie küsste mich so rasch auf die Stirn, dass ich gar keine Zeit hatte zurückzuweichen, sondern einfach nur kurz meine Augen schloss. „Schlaf süß, Liebes.“
    Schock übermannte das wohlige Gefühl, das ihr Jasmin-Parfüm und ihre zarten Hände versuchten in mir wachzurütteln. Ich blinzelte wild, während ich meinen Blick zu meinen Schuhspitzen senkte, drehte mich dann abrupt um und stapfte aus der Küche. Im Flur hielt ich noch einmal kurz an. Mist. Ich hatte gar nicht Gute Nacht zu ihr gesagt.
    Ich wischte mir über die Stelle, an der Marie mich geküsste hatte. Dann hatte ich eben nicht Gute Nacht gesagt, na und? Das war nicht wirklich meine Familie. Marie und Albert waren meine Gefängnisaufseher. Kein Grund, sich irgendwie mit ihnen anzufreunden. Ganz besonders nicht, wenn mir ihre Anwesenheit sowieso nur auf die Nerven ging.
    Oder … tat sie das wirklich?
    Himmel noch mal, was machten die bloß mit mir? Das französische Klima war mir ganz eindeutig zu Kopf gestiegen. Ich hätte Marie lieber wegstoßen und sie warnen sollen, so etwas nie wieder zu tun. Als ich in meinem Zimmer angekommen war, schlug ich die Tür zu und sperrte sie alle aus—auch diese ungewollten Gefühle für sie.
    In meinem Rucksack suchte ich nach meinem Notizblock und Bleistift. Damit setzte ich mich dann aufs Bett, stopfte mir das Kissen hinter den Rücken und machte es mir bequem. Als schließlich die Nacht über Fontvieille hereinbrach, hatte ich bereits über acht Seiten beschrieben, voll mit Verleumdungen über meinen ersten Eindruck von Frankreich und meinen neuen Familienmitgliedern. Es war zu dunkel geworden, um noch zu erkennen, was ich geschrieben hatte. Das Licht wollte ich aber nicht anmachen, daher legte ich den Block samt Stift schließlich beiseite und blickte mich in meinem Zimmer um. Bereits morgen würde ich diesen zauberhaften Ort verlassen. Ein elender Kloß bildete sich bei dem Gedanken in meinem Hals.
    Es konnte nicht schlimmer sein, einem hungrigen Kind einen Blick durchs Fenster eines warmen Hauses auf einen festlich gedeckten Weihnachtstisch zu gewähren. Nur stand ich nicht draußen in der Kälte, sondern hatte sogar von dem Tisch genascht. Mit zwei Fingern massierte ich die pochende Stelle zwischen meinen Augen. Je länger ich im Schlaraffenland blieb, umso schwerer würde es werden, wieder abzureisen.
    Von draußen tönte der Ruf einer Eule herein. Der sanfte Wind raschelte in den Bäumen. Das Holz des Balkons knarrte. Jemand

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