Märchensommer (German Edition)
könntest Julian fragen, ob er Hilfe mit dem Dünger braucht.“
Ich verfolgte die Richtung ihrer ausgestreckten Hand. Gut vierzig Meter von uns entfernt griff Julian immer wieder in einen Eimer, den er bei sich trug, und streute weißes pudriges Zeug ohne viel Bedacht unter die Büsche. Sah nicht allzu schwierig aus. Ich konnte das sicher auch.
Lou-Lous Pfoten stampfen neben mir, als ich rüber zu Julian joggte. Während ich so meine Probleme hatte, durch die beiden Drahtseile zu klettern, die entlang der Weinrebenreihen gespannt waren, um diese aufrecht zu halten, kroch Lou-Lou einfach unten durch.
Sieben Reihen weiter begrüßte mich Julian mit einem herzlichen Lachen. „Sieht so aus, als hättest du eine neue beste Freundin gefunden.“
„Oder sie will einfach ihre nächste Mahlzeit nicht aus den Augen verlieren“, murmelte ich und behielt den Bernhardiner dabei stets im Blickfeld.
Julian stellte seinen Eimer auf den Boden und zog die Nase hoch. „Ich hab dich gestern mit dem Blödsinn über den Hund ziemlich erschreckt, nicht wahr?“
„Nein, hast du nicht.“ Ich streckte ihm die Zunge raus. „Aber ich denke, du schuldest mir eine Entschuldigung schon alleine dafür, dass du es versucht hast.“ Meine Hände auf die Hüften gestützt, wartete ich darauf, dass Julian sagte: Es tut mir leid .
Er fing langsam an zu grinsen. „Ja. Genau.“
Mein Ego stampfte mit seinem unsichtbaren Fuß. „Das klang nicht gerade wie eine Entschuldigung.“
Er nahm den Eimer und ignorierte meine Beschwerde einfach, als er sich wieder an die Arbeit machte. Ich folgte ihm, wobei mir sein Schmunzeln wieder mal echt auf die Nerven ging. „Marie hat gesagt, ich soll dir helfen bei … na ja, bei was auch immer du hier tust.“ Ich winkte mit einer Hand in die Richtung des Pulvers, das Julian großzügig um die Büsche herum verteilte.
„Und ich dachte schon, du hast Gefallen an mir gefunden, weil du mir so nett hinterher dackelst.“
Ich prustete empört und fiel ein paar Schritte zurück.
„War nur ein Scherz, Jona.“ Julian deutete mir mit einem Kopfnicken an, dass ich ihm weiter folgen sollte. „Jetzt komm schon. Ich weiß ja, dass du nur hier bist, um zu arbeiten.“ Sein Lachen klang warmherzig und süß. Er hatte mich wohl wirklich nur aufgezogen.
Ich holte zu ihm auf. „Na schön. Was genau soll ich also machen?“
Er reichte mir den halbleeren Eimer. „Für den Anfang bestäubst du mal hier die Wurzeln mit diesem Mineralpulver. Ich hol inzwischen einen zweiten Eimer.“ Elegant sprang er über die zwei Reihen Draht links neben uns und lief zu einem großen weißen Container. Lou-Lou jagte ihm mit aufgewecktem Gebell nach, doch bereits nach wenigen Metern schlug sie einen Haken und verfolgte lieber einen kleinen Vogel durchs Feld. Während Julian einen zweiten Eimer mit diesem Mineralzeugs füllte, schob ich erst mal meine Hand tief in das weiße Mehl und ließ es durch meine Finger rieseln. Wozu das Zeug wohl gut war? Ich streute eine Handvoll auf den Boden und versuchte damit einen hübschen Kreis um eine Rebe zu formen.
„Du musst damit nicht so übergenau sein“, sagte Julian hinter mir und warf selbst wieder Pulver auf die dunkle Erde auf der anderen Seite des schmalen Trampelpfades. „Mit dem nächsten Regen wird der Dünger eingeschwemmt und die Wurzeln können sich die Mineralien aus dem nassen Boden saugen.“
Ich blickte nach oben in den wolkenlosen Himmel. „Sieht heute nicht unbedingt nach Regen aus.“
„Dann wird die Sprinkleranlage den Job übernehmen.“ Er zwinkerte mir zu und streute weiter.
Sogar nachdem er sich bereits von mir weggedreht hatte, starrte ich ihn immer noch an. Mein Herz schlug einen Buschtrommelrhythmus. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie solch kleine Gesten von seiner Seite bei mir so heftige Reaktionen hervorriefen. Er schaffte es, dass ich mehr von seiner Aufmerksamkeit haben wollte. Sehr viel mehr.
Ich lockerte meine Schulter und verdrängte diesen furchtbaren Gedanken so schnell es ging wieder. Dann streute auch ich weiter. Der Boden des Eimers war bereits in Sicht, als plötzlich der Kies hinter mir unter schnellen, schweren Schritten knirschte. Ich drehte mich um und sah diese kleine Frau, die wie ein Teekessel aussah, auf mich zustürmen. Vor Schreck ließ ich den Kübel fallen.
Ihr Haar war beinahe weiß, nicht länger als mein kleiner Finger und kräuselte sich in unzähligen Ringelschwänzchen auf ihrem Kopf. Sie zog ihre Oberlippe in einem
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