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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
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Taschengeld erleichtern. Das war vielleicht kein grandioser Einfall, doch immer noch besser als die Alternative—nämlich Geld von Marie und Albert zu stehlen.
    Es war nicht nur mein Versprechen an Quinn, das mich von Letzterem abhielt, sondern der Gedanke daran, wie enttäuscht meine Tante morgen sein würde, wenn sie es herausfand.
    Ein flüchtiger Blick rüber zu Marie brachte mich auf die Idee, ihr einen Abschiedsbrief zu schreiben. Obwohl ich nicht vorhatte, ihre geliehenen Kleider mitzunehmen, wollte ich mich doch für ihre Gastfreundschaft und das gute Essen bedanken. Je länger ich darüber nachdachte zu verschwinden, umso schlimmer quälte mich mein Gewissen. Irgendwann gab ich auf und verdrängte den Gedanken daran komplett. Stattdessen ließ ich den Schmerz in meinem Rücken wieder die Kontrolle übernehmen. Dieses Gefühl war leichter zu ertragen, wenn auch nicht für lange. Letztendlich schmiss ich das Handtuch und mein Hintern sank auf den Boden.
    „Die Arbeit sieht von Weitem leichter aus, nicht wahr?“, meinte Marie verständnisvoll. „Du solltest eine Pause machen und etwas trinken.“
    Sie hatte Recht. Mein Mund und Hals waren staubtrocken. Ich griff nach der Wasserflasche neben mir und setzte sie an meine Lippen. Oh Mann, war das gut. Im Schneidersitz verharrte ich im Schatten und beobachtete meine Tante eine Weile, wie sie mit unzerbrechlicher Leidenschaft weiter das Unkraut rund um die Reben aus der Erde zog. Ihre Liebe zu den Weinbergen war beinahe greifbar.
    Ich fragte mich, was wohl mit ihrer Liebe und Unterstützung aus mir geworden wäre. Vielleicht würde ich sogar aufs College gehen. Meine Tage als krimineller Teenager hätte es wohl niemals gegeben. Schade, dass ich in der Gosse gelandet war anstatt in der Obhut meiner Tante. Aber warum war sie nicht gekommen und hatte mich zu sich geholt?
    Ich nahm all meinen Mut zusammen und sagte schließlich: „Marie?“
    Ihre schmutzigen Hände ließen das Büschel Löwenzahn los und sie drehte sich zu mir. Ich räusperte mich, doch Worte kamen trotzdem keine aus meinem Mund.
    „Was ist los, Jona?“, fragte sie sanft. Das leichte Zittern meiner Finger blieb ihr offenbar nicht verborgen.
    Ich versuchte, den Kloß in meinem Hals, der mich daran hindern wollte, die Wahrheit herauszufinden, runterzuschlucken. „Es sieht so aus, als wärst du froh darüber, dass ich ein paar Wochen bei euch leben muss. Und dann all die netten Sachen, die du mir geliehen hast …“ Händeringend senkte ich meinen Blick. „Warum hast du mich damals nicht bei dir aufgenommen, als Charlene mich einfach abgeschoben hat? Warum musste ich ins Kinderheim?“
    Marie steckte ihren Spaten in die aufgewühlte Erde und wischte sich die schmutzigen Finger an ihrem T-Shirt ab. Dann rutschte sie auf den Knien zu mir rüber und nahm mein Gesicht in ihre Hände. „Liebes, ich hätte dich in der ersten Sekunde nach Frankreich geholt. Ein Kinderheim ist kein guter Ort für ein kleines Mädchen.“
    Aber wo hatte sie dann die letzten zwölf Jahre gesteckt? Die Hacken meiner Stiefel gruben sich in den Boden. „Warum hast du mich nicht abgeholt?“
    „Weil ich nicht die geringste Ahnung hatte, dass es dich gibt, Chérie .“ Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie es selbst nicht glauben. Aber was sagte sie da? Sie war Charlenes Schwester. Meine Mutter hatte mich doch sicher nicht vor ihrer Familie geheim gehalten. Oder etwa doch?
    Tante Marie nahm meine Hand und drückte sie fest. „Deine Mutter war gerade mal neunzehn Jahre, als sie diesen Soldaten aus England kennenlernte. Sein Name war Jake oder Jack, glaube ich. Seinen Nachnamen hat sie mir nie verraten. Charlene war bis über beide Ohren verliebt und fest entschlossen, mit ihm nach Großbritannien zu gehen. Unsterbliche Liebe … ich glaube, das waren ihre Worte.“ Marie seufzte tief. „Arme Charlene.“
    Meine Mutter war also verliebt gewesen, na und?
    „Unsere Eltern hatten tagelang versucht, sie zur Vernunft zu bringen und ihr die Sache auszureden. Ich hörte sie oft miteinander streiten. Doch Charlene wollte von alledem nichts hören. Und weil unsere Eltern so sehr dagegen waren, lief sie eines Nachts heimlich davon. Sie hatte uns nur einen kurzen Brief hinterlassen, in dem stand, dass wir nicht nach ihr suchen sollten, denn sie würde nie wieder in dieses Haus zurückkehren.“
    Meine Kinnlade klappte nach unten. Charlene war abgehauen? In ein fremdes Land noch dazu? Sie war wohl mutiger, als ich ihr zugetraut

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