Märchensommer (German Edition)
seine Augen funkelten wie die Oberfläche eines ruhigen Sees. Innerlich stöhnte ich. Wieso musste er nur so süß dreinschauen?
Oh nein! Diesmal nicht! Er würde mich nicht noch einmal mit seiner alten Taktik verwirren. Im Geiste verpasste ich mir selbst eine Ohrfeige, um wieder zu klarem Verstand zu kommen. Er konnte noch so süß tun, ich würde nicht mehr drauf reinfallen. Sollte er doch seinen Voodoo-Zauber bei jemand anderem abziehen.
„Lass das gefälligst!“, schrie ich ihn an.
„Was meinst du?“
„Hör auf, mich mit deinem Hokuspokus einzuwickeln!“
Sein linker Mundwinkel zuckte nach oben. „Jona, geht’s dir nicht gut?“
Er griff nach meiner Schulter, doch in diesem Moment ging eine schrille Alarmsirene in meinem Kopf los. Ich schlug seine Hand beiseite. „Mir geht’s ausgezeichnet.“ Ich streckte ihm meinen Finger ins Gesicht und machte dabei Schlitzaugen. „Aber ich werde nicht mehr zulassen, dass du mich infizierst … mit diesem, diesem …Glücksgefühl.“
Julian neigte seinen Kopf und stellte mit einer hochgezogenen Augenbraue offenbar meinen Verstand in Frage. „Ich denke du solltest den hier besser aufsetzen.“ Er hielt mir einen Strohhut entgegen. „Ein Sonnenstich ist eine ziemlich fiese Sache.“
Sonnenstich? Hatte er sie noch alle? Ich verschränkte die Arme vor der Brust und knirschte mit den Zähnen.
Da ich den Hut nicht annahm, setzte Julian ihn mir kurzerhand auf den Kopf, drehte sich um und marschierte in die andere Richtung. Ich war wie festgefroren und starrte ihm hinterher. Der Strohhut warf einen angenehmen Schatten über mein Gesicht. Er hatte ihn eigens für mich mitgebracht. Weil er sich um mich sorgte? Mein stählerner Kern drohte zu schmelzen.
Doch das war noch lange keine Entschuldigung für die Beziehung mit meiner Mutter. Und außerdem brauchte ich niemanden, der sich um mich sorgte. Am aller wenigsten ihn. Ich riss mir den Hut vom Kopf und schleuderte ihn Julian wie ein Frisbee hinterher. Der Strohhut traf ihn am Rücken und segelte dann zu Boden. „Ich will deinen dämlichen Hut nicht! Was ich will ist eine Antwort!“
Julian blieb stehen und drehte sich langsam zu mir um. „Eine Antwort?“ Er klang überrascht und arrogant zugleich. Nachdem er den Hut aufgehoben hatte, wischte er den Staub vom Rand, dann sah er wieder mich an. „Und wie genau lautet die Frage, Jona?“
Eine Sekunde verstrich. Zwei. Drei. Julian wartete, doch ich brachte die Worte einfach nicht über die Lippen. Ah, verflucht, wovor hatte ich eigentlich solche Angst? Nach einem weiteren tiefen Atemzug stapfte ich vorwärts, stelle mich auf die Zehenspitzen und blickte ihm todernst in die Augen. „Bist du der Liebhaber meiner Mutter, oder nicht?“
Julians großkotzige Art verschwand in diesem Moment. Er blickte entsetzt über seine Schulter, so als fürchtete er, dass mich jemand gehört haben könnte, schnappte mich dann am Arm und zog mich ein paar Meter weiter … weg von den anderen. Ich stolperte neben ihm her, bis er schließlich stehen blieb und fauchte: „Ich bin vieles, Jona. Aber ganz sicher nicht ihr Liebhaber.“
Ich wartete darauf, dass er endlich meinen Arm losließ, doch stattdessen zog er mich noch weiter zu sich. „Und wenn du aufhören würdest, anderen hinterherzuspionieren, dann würdest du gar nicht erst auf so dumme Gedanken kommen.“
„Ich hab nicht spioniert“, zischte ich zurück und riss meinen Arm los. „Jedenfalls nicht absichtlich.“
„Was bitte hast du denn sonst im Garten gemacht, als ich vorhin nach deiner Mutter gesehen hab?“
„Das geht dich nichts an!“
„Ach so. Aber was ich für eine Beziehung zu deiner Mutter habe geht dich schon etwas an, oder wie?“
„Ja genau! … Nein. … Aah, lass mich einfach in Ruhe.“ Ich fuhr mir aufgebracht mit den Fingern durchs Haar. Es ging mich etwas an. Schließlich redeten wir hier über meine gottverdammte Mutter. „Was hast du überhaupt vor? Willst du mein Stiefvater werden?“ Ein grauenhafter Schauer lief mir bei dem Gedanken den Rücken hinunter.
Julian antwortete nicht. Er zog nur seine Brauen tiefer und sah mich lange eindringlich an. Das war mir unheimlich. Ich wich einen Schritt zurück, doch der kleine Abstand zwischen uns hielt ihn nicht davon ab, meine Gedanken offenbar wieder einmal wie ein Buch zu lesen. Gott, war das nervig.
„Jetzt gib mir schon den verdammten Hut“, maulte ich. Das Stroh knirschte unter meinem festen Griff, als ich ihn Julian aus der Hand riss
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