Märchensommer (German Edition)
ich.
„Aber natürlich. Du bist einfach das Klima hier in Frankreich noch nicht gewöhnt“, erwiderte Marie. „Was hab ich mir nur dabei gedacht, dich so lange auf dem Feld arbeiten zu lassen.“ Sie tätschelte meine Hand. „Du bleibst am Nachmittag wohl lieber im Haus.“
Allein mit dem Drachen? Niemals! Ich würde ihr nicht noch mal die Gelegenheit bieten, um mich herumzuschwänzeln und mich in ein Gespräch zu verwickeln. Lieber fiel ich in der Hitze tot um. „Mir geht’s gut. Ich möchte lieber wieder mit euch rauskommen.“
Außerdem war dies mein letzter Tag hier und den wollte ich unbedingt in den wunderschönen Weinbergen verbringen, bevor ich die Festung nachts verließ. Ziel: unbekannt.
„Na schön. Aber sag früh genug Bescheid, wenn es dir zu viel wird“, warnte mich meine Tante in ihrem stets lieblichen Akzent. Sie drückte meine Hand noch einmal kurz und aß dann weiter.
Um Julians Blicken auszuweichen, lockerte ich meine Strähnen hinter meinem Ohr und versteckte mein Gesicht hinter einem Vorhang aus meinem Haar. Als alle mit dem Mittagessen fertig waren, half Julian meiner Mutter zurück in ihr Bett. Dies war eine gute Gelegenheit, um in der Halle kurz mit Marie unter vier Augen zu sprechen. „Was war das, was du und Valentine heute Morgen gemacht habt? Als ihr die Büsche ausgerissen habt.“
Marie lachte. „Wir haben nicht die Weinreben ausgerissen, sondern nur Unkraut gezupft. Diese kleinen Pflanzen saugen sonst den Reben die ganzen Mineralien weg.“
„Kann ich euch dabei helfen?“
„Natürlich. Aber es ist langweilige Arbeit. Möchtest du nicht lieber wieder mit Julian unterwegs sein? Ich dachte, ihr hattet viel Spaß zusammen. Er hat dich gerne um sich.“
Und vielleicht hatte ich ihn auch lieber um mich, als gut für mich war. Doch es war eine dumme Idee, jemanden zu nahe an mich heranzulassen, der leider auch mit einem bestimmten Drachen unter einer Decke steckte. Tatsächlich war es überaus dämlich, irgendjemanden in diesem Haus zu nahe an mich ranzulassen. Ein kleiner Hauch Bedauern überkam mich bereits jetzt bei dem Gedanken, heute Nacht abzuhauen, ohne Marie Auf Wiedersehen zu sagen.
Verdammt, es war echt höchste Zeit für ich, die Kurve zu kratzen.
Ich seufzte unfreiwillig. „Ich würde lieber mit dir arbeiten als mit Julian.“
Ausgerechnet diesen Moment suchte sich Julian aus, um aus dem Zimmer meiner Mutter zu kommen. War ja klar, oder? Mir blieb entsetzt der Mund offen stehen. Ich erschauderte unter seinem Blick, und meine Schultern verkrampften sich, als er die Tür hinter sich zuknallte. Der Muskel in seinen Wangen zuckte, als er offenbar mit den Zähnen hinter geschlossenen Lippen knirschte.
Langsam kam er auf mich zu. Ich atmete etwas schneller, denn ich war sicher, er würde mir gleich eine fiese Bemerkung an den Kopf werfen. Doch das tat er nicht. Er ging einfach an mir vorbei und weiter zur Eingangstür.
„Marie, sieh zu, dass sie ihr Gesicht mit Sonnenmilch eincremt, bevor sie wieder rausgeht.“ Sein eiskalter Ton traf mich tief.
9. Ich wollte gar nicht spionieren
DIE ZIERLICHEN BLÄTTER der Weinrebe wiegten vor mir im Wind hin und her. Der angenehm saftige Duft stieg mir in die Nase, während der Dreck mir unter die Fingernägel kroch. Meine Handflächen waren schon ganz rot vom ständigen Gras- und Unkrautzupfen. In meinem gekrümmten Rücken protestierte jeder einzelne Muskel bei der kleinsten Bewegung.
Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien oder gar den kleinen Stichspaten beiseite zu schleudern und in den Schatten zu kriechen, wo ich mich ausruhen konnte. Jede Minute kam mir mittlerweile wie Stunden vor und mein Körper verlangte nach einer Pause.
Beiß die Zähne zusammen, Montiniere !
Der Schmerz in meinem Rücken schien etwas nachzulassen, solange ich mich selbst irgendwie ablenkte, also nutzte ich die Gelegenheit, um mir für kommende Nacht einen Fluchtplan zurechtzulegen. Ich würde meine paar Habseligkeiten in meinen Rucksack packen und dann ein kleines Nickerchen machen bis, na ja, sagen wir mal Mitternacht. Bis dahin sollten auch alle anderen bereits eingeschlafen sein und niemand würde meine Flucht bemerken.
Die ersten paar Meilen könnte ich zu Fuß laufen oder vielleicht sogar per Anhalter fahren. Ohne einen Cent in der Tasche standen mir ja nicht viele Möglichkeiten offen. Um mir ein Flugticket kaufen zu können, würde ich einfach ein paar Leute am Flughafen um ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher