Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
Vom Netzwerk:
würdest du wohl zu gerne sehen, wie?“
    Julian warf mir einen verspielten Blick durch seine langen Wimpern zu. „Auf jeden Fall.“ Er klang wie ein hungriger Wolf. Dabei durchzuckte mich ein prickelnder Schauer und hinterließ eine Spur von Gänsehaut auf meinen Armen. „Ist dir kalt?“, fragte er, wieder ganz er selbst, und zog Gott sei Dank den falschen Schluss.
    „Dir entgeht wohl gar nichts“, murmelte ich und wich dabei seinem Blick aus.
    Er sprang vom Geländer und zog seine graue Kapuzenjacke aus. Vor Überraschung weiteten sich meine Augen. Ich neigte meinen Kopf, sodass ich ihn im Blickfeld hatte, als er vor mich trat. Er ging in die Hocke, und ich lehnte mich automatisch vor, damit er mir die Jacke um die Schultern hängen konnte, obwohl ich eigentlich protestieren wollte.
    „Das ist wirklich nicht nötig. Ich kann mir auch meinen eigenen Sweater von drinnen holen. Du solltest sie anlassen.“
    Julian setzte sich wieder aufs Geländer. „Schon okay. Mir ist nicht kalt.“
    Mir auch nicht.
    Doch als mir sein süßer Duft, der an seiner Jacke haftete, in die Nase stieg, beschloss ich lieber nichts zu sagen und einfach nur tief einzuatmen. Es war, als hätte jemand eine Flasche geöffnet und eine doppelte Dosis Julian wäre entwichen. Ich schob meine Arme durch die viel zu langen Ärmel, verschränkte sie auf meinen Knien und kuschelte meine Wange in das weiche Material des Sweaters. Sollte ich ihm mitteilen, dass er diese Jacke nie wieder zurückbekommen würde? Nee. Ich versteckte mein Grinsen in meiner Armbeuge.
    Ein Grübchen zeichnete sich gerade auf seiner Wange ab und er zog die Augenbrauen leicht zusammen. Konnte er etwa schon wieder meine Gedanken lesen?
    Er zog ein Bein an und stellte den Fuß auf das Geländer. Dann verschränkte er seine Finger um den Knöchel und stützte sein Kinn auf das Knie. „Tag drei deiner Strafe ist ja nun vorbei. Wie viele hast du noch mal vor dir? Fünfunddreißig?“
    „Achtunddreißig.“
    „Ah ja, richtig.“ Julian schmunzelte, doch ich verstand nicht, was daran so lustig war. „Und … wie ist der erste Eindruck von deinem neuen Zuhause?“
    „Das ist nicht mein Zuhause.“ Schlagartig hatte sich meine Stimmung an die eisige Arktis angeglichen. Ich versuchte wieder etwas freundlicher zu klingen. „Aber alle hier sind ziemlich nett und mir gefallen das Haus und die Weinberge, falls du das meinst. Die Arbeit macht mir auch nichts aus.“ Ich legte meinen Kopf zurück und blickte hinauf in den Sternenhimmel. „Ohne Charlene wäre das hier sicher ein toller Ort zum Leben.“
    „Warum, Jona?“ Sein trauriger Tonfall holte mich aus den Sternen zurück. Er ließ sein Bein wieder baumeln und lehnte sich nach vorn, wobei er die Ellbogen auf die Oberschenkel stützte. Das Balkonlicht spielte sanft in seinem blonden Haar. „Was genau wäre denn anders, wenn deine Mutter nicht hier wäre? Mal abgesehen davon, dass du dann bei den Mahlzeiten viel gesprächiger wärst.“
    Julian grinste und ich zog die Augenbrauen tiefer. „Einfach alles.“
    Er forderte mich heraus, indem er seinen Kopf leicht neigte. „Nenn mir nur eine Sache.“
    „Warum interessiert dich das überhaupt?“
    „Weil ich denke, du redest dir hier etwas ein.“
    Tat ich gar nicht. „Eine einzige Sache?“ Ich könnte meinen Ärger endlich ablegen und die Tage hier genießen. Sonst fiel mir leider grad nichts anderes ein. Das Geräusch meiner knirschenden Zähne dröhnte in meinem Kopf. Ich hasste es, wenn er Recht hatte und ich nicht. „Es würde hier nicht überall nach Drachenhöhle stinken.“ Ich grinste ihn bitterböse an. „Wo wir gerade davon sprechen, denkst du Charlene würde mich auch verstoßen wie eine Vogelmutter, wenn der Geruch von einer anderen Person an mir klebte?“ Provozierend rubbelte ich mit dem Ärmel seines Sweaters über meine Wange.
    Julian blieb still. Doch er rutschte vom Geländer und setzte sich mir gegenüber auf den Balkonboden. Brennend blaue Augen starrten mich lange Zeit einfach nur an. Dann meinte er: „Wirst du immer sarkastisch, wenn dir jemand zu nahe tritt?“
    Ja.
    Sarkasmus war wie ein Schutzmechanismus. Vor Leuten wie ihm. Oder meiner Mutter. Oder sogar vor Marie. Wenn ich sie zuerst verletzte, konnten sie mir nicht mehr weh tun. Besonders, wenn sie sowieso vorhatten, früher oder später wieder aus meinem Leben zu verschwinden. „Warum fragst du?“
    „Nur so. Seit wir uns kennen, habe ich noch nicht einmal erlebt, dass du etwas Nettes

Weitere Kostenlose Bücher