Märchensommer (German Edition)
zwischen den Vorhängen. Ich musste wohl irgendwann doch eingenickt sein. Meine Decke lag am Boden, mir war kalt und ich zitterte. Ich musste mich im Bett herumgewälzt haben, nachdem ich eingeschlafen war. Kein Wunder, wenn mich doch eine mordlustige Lou-Lou die ganze Nacht im Traum durch die Weinberge gejagt hatte.
Die Sonne blendete mich, als ich die Vorhänge zur Seite zog und sämtliche Fenster und auch die Balkontür öffnete. Samstagmorgen, was für ein Segen. Achtundvierzig Stunden keine Schufterei in den Weingärten. Meine Muskeln und Gelenke wussten dies durchaus zu schätzen. Ein tiefer Atemzug und ich fühlte mich gleich wieder wie neu. Der aromatische Duft von frischem Bohnenkaffee stieg mir dabei in die Nase. Laut gähnend streckte ich meine Arme in die Luft und meinen Rücken durch.
„Jona, bist du das?“, klang die Stimme meiner Tante über den Balkon herauf.
„Guten Morgen!“, rief ich zurück. Auf Zehenspitzen versuchte ich einen Blick hinunter in den Garten zu werfen, doch das einzige, das ich sah, war der Eingang zum Weinberg.
„Komm runter!“, forderte sie mich auf. „Wir frühstücken heute im Garten.“
Bei dem Gedanken an Marmeladentoast und Orangensaft gab mein Magen ein freudiges Knurren von sich. „Bin gleich da!“
Ich schlüpfte in die abgeschnittenen Jeans, die ich von Marie bekommen hatte, und zog mir das schwarze T-Shirt mit dem V-Ausschnitt über den Kopf, dann lief ich barfuß nach unten und hinaus in den Garten. Das taufeuchte Gras kitzelte mich zwischen den Zehen.
Alle saßen bereits um den großen ovalen Glastisch, auf dem ein farbenprächtiges Frühstück aufgedeckt war. Albert stand geschwind auf und holte mir einen hölzernen Gartensessel, den er zwischen sich und Marie stellte.
„Morgen …“, murmelte ich noch einmal in die Runde, bevor ich mich hinsetzte.
Marie schüttete mir sogleich Kaffee in meine Tasse. Über ihren Arm hinweg fiel mein Blick auf Julian, der mir gegenüber saß und sich lässig in seinem Gartensessel zurückgelehnt hatte, mit den Händen über dem Bauch verschränkt. Seine Augen hingen an mir und auf seiner linken Wange machte sich ein Grübchen bemerkbar. Er fand meinen Morgen-Look wohl sehr amüsant.
Den Blick gesenkt, fuhr ich mir schnell mit den Fingern durch mein Haar. Ich hätte mich wohl vorher noch kämmen sollen. Mist, nun war es zu spät und ich sah vermutlich aus wie eine Vogelscheuche.
Als ich wieder hochsah, hatte er mich immer noch im Visier, und nun versuchte er auch gar nicht mehr sich sein schiefes Lächeln zu verkneifen. In dem Moment fragte ich mich allen Ernstes, warum ich gestern die Balkontür zugemacht und auf eine nette Unterhaltung mit ihm vorm Schlafengehen verzichtet hatte. Ich musste vollkommen verrückt gewesen sein.
Doch dann fiel es mir wieder ein, denn neben ihm saß meine Mutter und ihr Anblick brachte dieses grausame Gefühl von Eifersucht und Frustration wieder hoch. Vielleicht war es auch nur ein Schmollen, wer wusste das schon?
Mittlerweile hatte ich gelernt, den Drachen bei gemeinsamen Mahlzeiten einfach zu ignorieren. Natürlich war das sehr viel einfacher, wenn sie nicht versuchte, ein Gespräch mit mir anzufangen, was sie seit letztem Wochenende—genauer gesagt seit dem Tag, an dem ich mich geweigert hatte, ihren verdammten Kuchen zu essen—nicht mehr getan hatte.
Ich stibitzte eine Scheibe Toast vom Teller in der Mitte des Tisches und schmierte Butter und Marmelade drauf. Extra Zucker nahm meinem Kaffee den bitteren Geschmack. Während ich noch einen Tropfen Milch dazu schüttete, schaufelte mir Marie etwas Rührei auf meinen Teller. Dann nahm sie sich selbst auch eine Scheibe Toast und sagte: „Heute Abend werden ein paar Gäste kommen, Chérie . Wir veranstalten ein kleines Fest.“
„Ja, ich weiß. Julian hat gestern schon so etwas in der Richtung angedeutet.“ Und es tat mir schrecklich leid, dass ich bei der Feier nicht dabei sein konnte, doch so wie es aussah, überfiel mich gerade in diesem Moment ein Anflug von Kopfschmerzen, die im Laufe des Tages wohl zweifellos noch sehr viel stärker werden würden. Ich verkniff mir ein zufriedenes Grinsen und knabberte an meinem Toast.
Julians Blick wurde auf einmal penetrant. Er zog die Augenbrauen tiefer und musterte mich für eine lange halbe Minute. Was hatte er denn plötzlich? War er mit meinem hervorragenden Plan etwa nicht einverstanden? So sah er nämlich aus. Aber er konnte doch gar nicht wissen, was ich dachte.
„Albert und
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