Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
Vom Netzwerk:
toten Enten, aber vielleicht—
    Einen Sweater?
    Ich schloss die Augen und lehnte meine Stirn gegen seine Brust. Dabei gestattete ich mir selbst einen Moment davon zu träumen, dass ich ihm vielleicht doch ein kleines bisschen wichtig war. Wichtiger als andere. Ich ließ den Gedanken sofort wieder fallen. Schließlich war das genau der Quatsch, den ich bereits mit Marie durchmachte und der mich permanent verwirrte und verletzlich machte. Über zwölf Jahre lang hatte ich in einer Welt ohne Liebe gelebt und mich sehr gut angepasst. Ich musste jetzt endlich meinen Kopf wieder frei bekommen und in diese Welt zurückkehren, wo mir niemand mehr weh tun konnte. Nur dort war ich sicher.
    Ich befreite mich aus Julians Umarmung. „Charlene wartet auf dich. Du solltest dich beeilen, damit ihr endlich losgehen könnt.“ Es war unmöglich, die Abscheu oder auch die Eifersucht aus meiner leisen Stimme fernzuhalten.
    Julians Blick wurde härter. Er nickte. „Du hast Recht.“ Er ging an mir vorbei hinaus in den Flur und schloss die Tür leise hinter sich.
    Ich ließ meine Finger über meine Wange gleiten, wo er mich gerade eben berührt hatte, und versuchte mich daran zu erinnern, welches Gefühl ich dabei hatte. Ich wusste, wie es sich angefühlt hatte, doch ich konnte es nicht wieder heraufbeschwören. Was stimmte nicht mit diesem Mann? Und was noch wichtiger war: Was machte er mit mir?
    Mir kam der Gedanke, dass ich eigentlich Angst vor ihm haben sollte. Er war anders. Geradezu unheimlich. Die Dinge, die er anstellen konnte … das grenzte schon an Übernatürliches. Und wieso war ich die einzige, die merkte, dass an ihm etwas faul war?
    Ich kniff mich in den Nasenrücken und drückte die Augen fest zu. All seine Erklärungen waren so fadenscheinig. Das Rankengitter, ha! Wem wollte er damit was vormachen?
    Kopfschüttelnd schob ich meinen Stuhl zurück zum Schreibtisch, setzte mich hin und holte die Liste, die ich letzten Samstag über ihn begonnen hatte, aus der Lade. Der Titel war Julians gruselige Fähigkeiten . Das Wiederbeleben der Ente und sein Sprung fünf Meter hoch auf unseren Balkon ergaben zwei weitere Punkte auf der Liste. Ich sah einen Moment aus dem Fenster und biss dabei in das hintere Ende meines Bleistifts. Ein holziger Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus. Ich nahm den Stift heraus und stützte mein Kinn in eine Hand. Da erkannte ich draußen auf dem Weinfeld zwei Personen, die gerade den Weg entlangschlenderten.
    Meine Mutter hatte ihren Arm um Julians gebeugten Ellbogen geschlungen und alle paar Meter drehte er seinen Kopf kurz in ihre Richtung. Sie waren wohl in eine angeregte Unterhaltung vertieft.
    Wenn ich doch nur hören könnte, was sie sagten. Er hauchte meiner Mutter jeden Tag neues Leben ein, da war wohl anzunehmen, dass sie sein Geheimnis kannte. Falls er wirklich eines hatte und ihr nicht nur jeden Tag irgendwelche Drogen einflößte …
    Ich ließ den Bleistift durch meine Finger tanzen und sah zu, wie langsam die Dunkelheit über Fontvieille hereinbrach. In diesem Moment beschloss ich, dass ich heute Nacht nicht auf Julian warten würde. Ich versteckte die Liste unter ein paar Büchern auf meinem Schreibtisch und stand auf. Die Balkontür knarrte, als ich sie zumachte und verriegelte.
    Ich konnte an diesem Abend ewig nicht einschlafen. Jedes Mal, wenn ich auf die Uhr sah, war der Zeiger nur um wenige Minuten weitergewandert, doch mir kam es vor wie Stunden. Leise Schritte waren irgendwann auf dem Gang zu hören. Julian musste wohl von seinem Spaziergang mit dem Drachen zurückgekommen sein. Minuten später drangen seine Schritte vom Balkon an mein Ohr. Durch die zugezogenen Vorhänge konnte ich nur einen schwachen Schimmer des Außenlichtes erkennen, das er angeknipst hatte. Vermutlich wollte er mir noch einen kurzen Gute-Nacht-Besuch abstatten. Ich bewegte mich nicht aus dem Bett, doch an etwas anderes als ihn konnte ich auch nicht denken.
    Übel gelaunt zog ich mir die Decke bis unters Kinn, drehte mich zur Seite und starrte auf die blanke Wand. Meine wachsende Sehnsucht nach Julian zu erforschen war ein viel zu gefährliches Unterfangen. Da würde nichts Gutes dabei rauskommen. Also schloss ich die Augen und konzentrierte mich darauf, in Gedanken Schafe über einen Zaun springen zu lassen. Zweitausendsechshundertsiebenundachtzig … sechshundertachtundachtzig … sechshundertneunundachtzig …
    Als ich die Augen wieder aufmachte, schwappte bereits Tageslicht durch den Spalt

Weitere Kostenlose Bücher