Märchensommer (German Edition)
ich werden heute wohl sehr beschäftigt sein und nur wenig Zeit für dich haben“, erklärte Marie weiter.
„Kann ich euch bei irgendetwas helfen?“
„Du hast diese Woche wirklich schon genug gearbeitet. Du solltest dir auch die schönen Dinge Frankreichs ansehen, solange du hier bist.“
Ich hatte gerade Aussicht auf das hübscheste Ding von ganz Frankreich, wenn ich nur quer über den Tisch blickte.
Julian studierte mich immer noch eindringlich. Doch seine Augen leuchteten plötzlich etwas heller, so als wüsste er genau, was als Nächstes kommen würde, und wartete gespannt meine Reaktion ab.
„Julian hat vorgeschlagen, dich auf einen Ausflug mitzunehmen, um dich ein wenig zu“ —sie machte eine kurze Atempause und verzog nachdenklich den Mund, als würde ihr gerade das richtige Wort nicht einfallen— „verderben.“
In diesem Moment spuckte meine Mutter, die gerade einen Schluck von ihrem Orangensaft genommen hatte, die volle Ladung über den Tisch. Sie hustete, als wäre sie kurz davor abzukratzen.
Ich selbst war ebenfalls erstaunt über Maries Wortwahl, doch Julian formte schnell das Wort „verwöhnen“ mit seinen Lippen.
Meine Tante war inzwischen aufgesprungen und presste eine Hand auf ihr Herz. „Um Himmels willen, Charlene! Fehlt dir etwas?“ Sie griff rasch nach ein paar Servietten und begann, die Schweinerei aufzuwischen.
„Und ich dachte, so was kriegt man nur im Fernsehen zu sehen.“ Voll Abscheu verdrehte ich die Augen. Ekelhafte Spuckespritzer vom Drachen hafteten nun an meinem Glas. Mit zwei Fingern schob ich es von mir weg.
Meine Mutter nahm Marie die Servietten aus der Hand und wischte selbst weiter. „Es tut mir so leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist“, murmelte sie mit hochrotem Kopf. Durch einen Vorhang aus ihrem offenen Haar, sah sie mich verlegen an, setzte sich dann wieder hin und wich Julians missfälligem Blick aus.
Als sich alle wieder einigermaßen beruhigt hatten, schaute ich zwischen meiner Tante und Julian hin und her. „Es gibt wirklich keinen Grund mich zu beschäftigen—oder zu verwöhnen. Ich komm ganz gut alleine klar.“
„Du bist unser Gast, Jona. Und solange du bei uns bist, möchte ich nicht, dass du dich langweilst oder gar ausgeschlossen fühlst.“ Marie legte ihre zarte Hand auf meinen Arm. „Und außerdem hat Julian darauf bestanden.“
„Hat er das?“ Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und zog eine provokante Augenbraue hoch. Dann spiegelte ich sein Grinsen, jedoch eher zynisch als amüsiert. „Wie nett von ihm.“
Julian lehnte sich daraufhin nach vorn und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab, wobei er die Arme verschränkte. Sein Vergnügen über meine Reaktion verschwand und zurück blieb ein warmes Lächeln. „Es gibt da etwas, das ich dir gerne zeigen möchte. Ich denke, es wird dir gefallen. Marie leiht uns ihren Wagen. Wenn du also Lust auf ein kleines Abenteuer hast, werde ich mich heute um dich kümmern.“
Meine Mutter brach erneut in einen kläglichen Hustenanfall aus, doch dieses Mal hatte sie Gott sei Dank noch nichts von dem Glas in ihrer Hand getrunken. Julian rollte mit den Augen, sodass nur ich es sehen konnte, was mich merkwürdig amüsierte.
„Wir fahren ? Wo genau geht’s denn hin?“
„Das ist eine Überraschung.“ Die Beine seines Stuhls scheuerten über die quadratisch ausgelegten Steinfliesen unter dem Tisch, als er nach hinten rutschte und aufstand. „Wenn du mit deinem Frühstück fertig bist, komm in die Garage.“ Er machte sich auf den Weg rüber zum Haus, doch auf halbem Weg sah er über seine Schulter zurück und meinte: „Ach ja, und bring ein Handtuch mit.“
Ich runzelte verwundert die Stirn, doch Julian verriet nicht mehr. Marie und Albert versuchten zwar die Ahnungslosen zu spielen, als ich in ihren Gesichtern nach Antworten suchte, doch sie waren schlechte Schauspieler. Die beiden wussten genau, was Julian mit mir vorhatte. Leider war aus ihnen kein Sterbenswörtchen herauszukriegen.
Nun war ich aber echt neugierig. Schnell schob ich noch den letzten Bissen Toast in meinen Mund und leckte mir dann die klebrigen Finger ab. „Na, dann werd ich mich wohl besser mal beeilen“, sagte ich fröhlich zu meiner Tante und meinem Onkel und erhob mich von meinem Stuhl. Die Vorfreude stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn die beiden grinsten mich an, als wäre ich ein hell erleuchteter Weihnachtsbaum.
Auf dem Weg zurück ins Haus kam ich an dem Rankengitter
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