Märchenwald Mörderwald
später in den Wald eintauchte, wo er verschwand.
Noch einmal schaute sie hin.
Ein letztes Mal.
Alina zeigte sich nicht. Nur wusste sie jetzt, dass ihre Tochter nicht tot war.
Früher hätte sie das beruhigt. Heute aber brachte es ihr eine tiefe, bohrende Angst, und so hetzte sie mit schnellen Schritten zurück in ihr Haus...
***
»Weiter können wir nicht fahren, Sir«, sagte Peter Benson und hob bedauernd die Schultern.
»Ich weiß.« Lord Britton räusperte sich. »Den Rest können wir auch zu Fuß gehen.«
»Ja, das müssen wir.«
Beide Männer verließen den Jeep, den der Förster gefahren hatte. Er war froh, es endlich hinter sich bringen zu können, denn er hätte nicht gedacht, dass es so lange dauern würde.
Der Lord hatte sich nicht entscheiden können, das Ding wirklich durchzuziehen, aber seine Schwester hatte darauf bestanden und es auch schriftlich hinterlegt.
Sie wollte verbrannt werden, aber ihre Asche sollte nicht in einer Urne bleiben, sondern in der Natur verstreut werden, und da hatte sie sich etwas Besonderes ausgedacht. Da sie die Lindenbäume so sehr geliebt hatte, wollte sie, dass die Asche in der Nähe eines Lindenbaums verteilt wurde oder direkt darunter.
Der Lord hatte seiner Schwester auf dem Totenbett versprochen, dies alles zu regeln. Sein Einfluss war groß genug. So hatte er bestimmt, dass er die Urne mitnahm und sie selbst in die Familiengruft stellte. Er wollte keine Freunde, keine Verwandten und auch keinen Geistlichen dabeihaben.
Nur einen Förster, der ihm die richtige Stelle zeigte. Das tat Peter Benson gern, denn der Lord ließ sich nicht lumpen, und ein paar Scheine konnte man immer gebrauchen. Außerdem kannten sich die beiden schon länger, denn der Lord hatte mal mit dem Gedanken gespielt, in der Nähe des Waldes einen Golfplatz zu bauen.
Das hatte ihm Benson glücklicherweise ausreden können, und der Lord hatte es auch akzeptiert.
Ebenso wie er den Wunsch seiner Schwester akzeptiert hatte, im Wald beigesetzt zu werden, und das nicht am Tag, sondern in der Nacht, denn sie war durch ihr Ableben ebenfalls in das Dunkel der Nacht hineingeglitten.
Benson’s Revier war sehr groß, aber er kannte jeden Quadratmeter seines Waldes und auch der dazugehörigen Felder wie seine eigene Hosentasche.
»Haben Sie die Urne, Sir?«
»Klar.«
»Gut, dann folgen Sie mir.«
»Brauchen wir Licht?«
»Nein, nein, keine Sorge. Das schaffen wir auch ohne. Ich kenne mich aus. Sie brauchen mir nur auf den Fersen zu bleiben. Außerdem ist es keine weite Strecke.«
»Das beruhigt mich.«
Peter Benson hatte sein Fahrzeug dort abgestellt, wo ein schmaler Weg endete. Den Rest der Strecke mussten sie durch die Natur laufen. Das heißt, über eine wilde Wiese, die leicht anstieg.
Der Förster war diesen Weg gewohnt. Er trug auch die richtige Kleidung, vor allen Dingen das entsprechende Schuhwerk. Zwar lief der Lord nicht eben im Anzug und mit Krawatte herum, aber die Sohlen unter seinen Schuhen waren glatt, sodass er auf dem noch immer feuchten Boden leicht rutschte.
Die Urne hatte er auf den Rat des Försters hin in einen Rucksack gepackt, der bequem auf seinem Rücken Platz gefunden hatte. Trotzdem war er nicht zufrieden und beschwerte sich einige Male bei seiner toten Schwester.
»Was du einem älteren Mann alles zumutest, ist nicht eben lustig. Aber was tue ich nicht alles für dich? Das hat sich das ganze Leben hindurchgezogen, liebe Christine. Sogar deine Launen und deine bescheuerten Hobbys habe ich ertragen müssen. Ist ja klar, dass du dabei keinen Kerl gefunden hast, der dich heiraten wollte.«
»Sagten Sie was, Sir?«
»Keine Sorge, ich habe nur mit mir selbst gesprochen.«
»Wir können noch zurück.«
»Lieber nicht, Mr. Benson. Wenn ich meiner Schwester nicht den letzten Gefallen erweise, bringt sie es fertig und rächt sich noch aus dem Jenseits heraus.«
Benson musste lachen. »Sie haben ja eine Meinung von Ihrer Schwester, Sir.«
»Und ob!«, keuchte er, weil der Weg immer steiler wurde. »Haben Sie sie mal erlebt?«
»Nur kurz.«
»Und?«
»Über Tote soll man nichts Schlechtes sagen.«
»Sehr diplomatisch ausgedrückt. Aber sie fehlt mir doch. Trotz allem. Auch wenn sie sich mit Bäumen und Pflanzen besser unterhalten konnte als mit Menschen.«
»Ja, solche Leute gibt es.«
»Und wie lange müssen wir noch stiefeln?«
»Keine Sorge, Sir. Nicht mal eine Minute, dann haben wir den Hang hinter uns.«
»Danke, das ist gut.«
Lord Britton hielt jetzt
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