Märchenwald Mörderwald
den Mund. Der dunkle Waldsaum lag an seiner linken Seite. Rechts erstreckte sich die Wiese und dahinter sah er wieder die dunkle Fläche eines Waldstücks.
Peter Benson blieb stehen und streckte dem Lord die Hand entgegen.
»Nicht nötig, das schaffe ich.«
Nach zwei Schritten stand Lord Britton neben dem Förster, einem schlanken, recht großen Mann mit grauen Haaren, die unter einem Hut verschwanden. Wie immer hatte Benson auch seinen Hund mitgenommen, aber der war im Jeep geblieben.
Nachdem sich der Atem des Lords wieder normalisiert hatte, nickte er und fragte: »Und jetzt zeigen Sie mir bitte die Linde, wo wir die Asche verstreuen können.«
Benson musste lachen. »Wenn es hell wäre, hätten wir sie unter Umständen sehen können. So aber müssen wir in den Wald hinein, aber nicht sehr tief, das kann ich Ihnen versprechen.«
»Im Dunkeln?«
»Ich habe eine Lampe.«
»Wenigstens etwas.«
Benson holte sie hervor. Er grinste leicht. Irgendwie mochte er den Lord. Er war nicht verschroben und auch nicht arrogant. Eigentlich ein Typ aus dem Leben, der für seinen Stammbaum auch nichts konnte, wie er selbst mal betont hatte.
»So, dann folgen Sie mir mal, Sir.«
Der recht große Lichtkegel der Lampe huschte wie ein bleiches Gespenst in den Wald hinein und zuckte von einer Seite zur anderen.
Einen echten Pfad gab es in diesem Teil des Waldes nicht, obwohl er an einer anderen Stelle von einem sogar für Autos befahrbaren Weg geteilt wurde. Hier war er urwüchsig und dicht. Ein Paradies für Tiere und nicht für Menschen.
Benson suchte Stellen aus, die nicht so beschwerlich zu gehen waren. Trotzdem hatten sie Mühe. Immer wieder tauchten im blassen Schein der Lampe die Hindernisse auf.
Da waren kleine Bäume, auch zähes Gestrüpp, das ihnen seine Zweige in Hüfthöhe entgegenstreckte. Sie mussten die Zweige oft genug zur Seite biegen, waren auch gezwungen, sich unter niedrig wachsenden Ästen zu ducken. Besonders der Lord hatte seine Probleme, denn er war diese Art zu gehen nicht gewohnt.
Wieder schimpfte er auf seine verstorbene Schwester, die wohl alles bewusst so angeleiert hatte, aber er hielt durch und stellte dann fest, dass sich das Licht nicht mehr bewegte. Der Förster war stehen geblieben und leuchtete eine bestimmte Stelle an.
»Sind wir da?«
»Ja, Sir.«
»Endlich.« Lord Britton blieb stehen und ließ den Rucksack über seine rechte Schulter rutschen. Er klopfte mit der flachen Hand gegen die Ausbeulung, die von der Urne stammte, und sprach seine tote Schwester wieder an.
»Wo immer dein Geist auch jetzt herumirrt, hier werden wir dich verstreuen, und damit hat auch deine Seele endlich ihren Frieden gefunden.« Er stellte den Rucksack ab und folgte mit seinen Blicken dem hellen Kreis, der am Stamm des Baumes in die Höhe wanderte.
»Das also ist die Linde«, stellte er fest.
»Genau!«
»Ich frage Sie, Mr. Benson, wo würden Sie die Asche verteilen?«
»Ich denke an einen Kreis.«
»Um den Baum herum?«
»Genau.«
»Dann werde ich das auch machen. Und Sie leuchten mir bitte weiter, nicht wahr?«
»Gern.«
Der Lord war nervös. Das hatte der Förster deutlich gehört. Als der Adlige den Rucksack öffnete, zitterten seine Hände. Er machte die Öffnung so breit wie möglich, um mit beiden Händen hineingreifen zu können.
Die Asche befand sich in einer Urne aus Metall. Der Lord hob sie behutsam aus dem Rucksack. Dabei gab sein Atem einen leicht pfeifenden Ton ab. Es musste nur noch der flache Deckel geöffnet werden, dann konnte er das Gefäß anheben.
Auch das tat Lord Britton. Wieder wirkte er nervös. Auf seiner Stirn lag Schweiß, woran bestimmt nicht die Temperaturen schuld waren. Er drehte sich dem Förster zu.
»Leuchten Sie mir?«
»Klar.«
Peter Benson ging näher an den Baum heran. Der blasse Lichtkreis umwanderte den Baumstamm. In die Helligkeit hinein rieselte die Asche aus der gekippten Urne. Sie sah aus wie feiner Staub, der sich von irgendwelchen Ästen gelöst hatte und nun dem Boden entgegensank.
Als die beiden Männer den Kreis geschlossen hatten, war die Urne leer.
Der Lord blieb stehen. Er ließ das Metallgefäß fallen und faltete die Hände. Ein letztes Gebet wollte er sprechen, auch wenn seine Schwester früher nichts mit der Kirche oder dem Glauben zu tun haben wollte.
Der Förster hielt sich zurück. Er wollte nicht stören. Sein Platz war schräg hinter dem Betenden, und er strahlte nach wie vor den Untergrund an, und zwar dorthin, wo sich die
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