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Mafiatod

Mafiatod

Titel: Mafiatod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald E. Westlake
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recht?«
    »Aber alle Einwanderer sind doch amerikanisiert«, wandte ich ein.
    »Ja, natürlich, das weiß ich. Glaub mir, in den letzten Jahren las ich immerzu Zeitschriften. Ich weiß darüber Bescheid, als Amerikaner hat man keine Wurzeln, man zieht umher. Kein Familiensitz, keine Traditionen, nichts. Wer kümmert sich einen Deut um Cousins, Brüder, Eltern, irgendwen? Nur wenn sie reich sind, was?«
    Wir lächelten einander an. »Wo ist also der Unterschied?«, fragte ich.
    »Ich sage dir, Junge, es gibt keinen Menschen in der Welt, der nicht ehrbar sein möchte.« Er deutete mit dem Finger auf mich und machte ein ernstes Gesicht, als ob er in seiner Zelle lange Nächte mit diesen Überlegungen verbracht hätte. »Verstehst du? Jeder Mensch möchte ehrbar sein. Sobald man ehrbar sein kann, ist man es auch. Wie lange dauert es, bis die Einwanderer wirklich amerikanisiert sind? Keine Wurzeln, keine Traditionen. Wen kümmert schon die Familie, all dieses Zeug? Wie lange?«
    Ich zuckte die Schultern. Er wollte die Frage ohnehin selbst beantworten.
    »Drei Generationen. Die erste Generation kennt sich nicht aus. Sie hat einen ausländischen Akzent, und sie versteht die Sprache nicht richtig, sie hat andere Lebensgewohnheiten, liebt andere Nahrung und Kleidung und so weiter. Verstehst du? Diese Leute werden nicht geachtet. Ich rede nicht von Ehrlichkeit und Unehrlichkeit, sondern von der Achtung. Sie gehören nicht zur geachteten Welt. Verstehst du? Mit ihren Kindern ist es ebenso, sie sind halb und halb. Im Elternhaus werden sie nach Art der alten Heimat erzogen, aber in der Schule und überhaupt außerhalb des Elternhauses ist alles anders. Verstehst du? Halb und halb. Die dritte Generation aber ist amerikanisiert. Die dritte Generation kann geachtet werden. Begreifst du, worauf ich hinauswill?«
    »Ich glaube, ›geachtet‹ ist nicht das Wort, das du meinst«, erwiderte ich.
    »Zum Teufel damit!« Er war ungeduldig und wischte meinen Einwand vom Tisch. »Du weißt schon, was ich meine. Es dauert drei Generationen. In der dritten Generation treten so gut wie keine Verbrecher auf. Ich meine organisierte Verbrecherbanden. Die setzen sich fast immer aus der ersten und zweiten Generation zusammen. Verstehst du, was ich meine? Jeder Mensch möchte ehrbar sein, aber viele müssen sich sagen: ›Na schön, wenn ich nicht ehrbar sein kann, dann eben nicht. Aber ich möchte doch Geld verdienen. Und nur die Geachteten können die gut bezahlten Posten bekommen. Aber mein Schwager transportiert mit einem Lastwagen Alkohol aus Kanada und verdient gut dabei. Außerdem fällt noch da und dort ein Verdienst für ihn ab. Also, wenn schon. Ich werde ja doch nicht geachtet.‹ Verstehst du, was ich meine?«
    Ich nickte. »Ja, und ich sehe, worauf du hinauswillst. Die erste und zweite Generation sind nicht amerikanisiert. Deshalb haben sie das alte Familiengefühl.«
    »Richtig! Und das betrifft dich nun, mein Junge.« Er lehnte sich über den Tisch. »Ich sage dir, die Familie ist für diese Menschen alles. Du tötest einen Mann, sein Bruder tötet dich. Oder sein Sohn. Wie du mit allen Mitteln hinter dem Kerl her bist, der Will Kelly umgebracht hat. Oder es geht folgendermaßen zu: Vielleicht hat es irgendeinen Zwist gegeben, und einer von der Bande wird von einem anderen umgelegt. Und der Mann, der das getan oder befohlen hat, setzt der Witwe gewissermaßen eine Rente aus. Jede Woche schickt er ihr ein paar Dollar, sodass sie Lebensmittel kaufen oder den Kindern Schuhe beschaffen kann. Du weißt schon, was ich meine. In Chicago gab es einmal eine Zeit – ich glaube, es war 1927 oder 1928 –, da bekamen fast vierzig Witwen gleichzeitig Alkoholschmuggel-Renten. Verstehst du, was ich meine?«
    »Du sagtest vorhin, das beträfe mich nun.«
    »Ach so.« Er lachte. »Weißt du, ich bin das Reden nicht gewöhnt. Es macht mir Durst. Und diesen Kings and Lords bin ich auch nicht gewöhnt.«
    »House of Lords.«
    »Was auch immer. Ich merke ihn schon im Kopf. Das wievielte Glas ist dies? Mein drittes?«
    »Ja, das dritte.«
    »Trinken wir noch ein viertes.«
    Wir bestellten nochmals, und er sprach weiter: »Die Zwanzigerjahre, ja, das war eine irre Zeit. Wir stellten die Dinge schneller auf die Beine als das Gesetz, das war die Hauptsache. Wir waren denen immer einen Schritt voraus. Bis sie mich mit der Einkommensteuersache kriegten, und ich sage dir, das war ungerecht. Das war Betrug. Ich habe keine Achtung vor der Bundesregierung; wenn

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