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Mafiatod

Mafiatod

Titel: Mafiatod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald E. Westlake
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kroch weg, und Bill fiel auf seine Beine. Ich drehte ihn herum, sodass Kapps Beine frei wurden. Kapp richtete sich an einem Baumstamm auf und stand mit hängendem Kopf da, die Arme um den dicken Stamm geschlungen.
    Ich baute mich vor ihm auf. Die Luger hielt ich am Lauf. »Reden Sie weiter«, befahl ich.
    »Nicht jetzt, mein Junge, ich bin ein alter Mann.«
    »Hören Sie mit dem Theater auf!«
    Schaudernd legte er die Stirn an die Rinde. Seine Augen waren geschlossen. »Also gut. Aber lass mir ein paar Sekunden Zeit. Bitte.«
    Ich ließ sie ihm. Als er den Kopf hob, hatte seine Stirn Druckstellen von der Rinde. Er rang sich ein mattes Lächeln ab. »Das Aussehen hast du von ihr, Junge, aber von mir hast du deinen Mut. Das freut mich.« Ich schwieg. Er zuckte die Schultern, und das Lächeln verschwand. »Also gut. Sie hieß Edith Stanton. Sie kam 1934 aus Rosebank auf Staten Island. Eine Zeit lang ging sie mit Tom Gilley. Als sie schwanger wurde, half er ihr bei der Abtreibung mit ein paar gezielten Rechten in den Bauch. Dann trieb sie sich herum, da und dort, immer mit irgendeinem der Kerle, die einander kannten. Das war kurz nach der Aufhebung der Prohibition, und wir alle versuchten gerade, uns wieder zu organisieren. Sie lernte Will Kelly kennen, und er verliebte sich in sie. Er war der Einzige, der sie anständig behandelte, und das gefiel ihr. Dann wurde sie wieder schwanger, diesmal von ihm, und sie brachte ihn dazu, sie zu heiraten. Aber es sagte ihr nicht zu, den ganzen Tag mit dem Kind zu Hause zu sitzen, und so trieb sie sich wieder mit der alten Bande herum. Kelly blieb zu Hause und wechselte die Windeln. Ich glaube, er kommt zu sich.«
    Ich drehte mich um und betrachtete Bill. »Wir haben noch ein paar Minuten«, erwiderte ich.
    »Also gut. Es ist nun einmal so, dass manche Frauen erst durch die Mutterschaft ihren vollen Reiz entfalten. Früher hatte ich Edith nie beachtet, aber als sie sich wieder herumzutreiben begann, war sie verändert. Nein, sie sah anders aus. Schneidiger, könnte man sagen. Erdhafter. Ich weiß nicht, woran es liegt, bei manchen Frauen ist es aber so. Ich nahm sie mit zu mir nach Hause. Sie war ein kleines Luder, aber sie hatte auch etwas Interessantes. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.« Er wurde wehmütig.
    »Das ist mir gleich«, unterbrach ich ihn. »Erzählen Sie weiter.«
    Das brachte ihn zu seiner Geschichte zurück. »Eine Zeit lang – im Jahr 1938 – gab es Schwierigkeiten. Baltimore war der Umschlagplatz für Heroin. Es kam zu Streitigkeiten zwischen Chicago und uns, wer in Baltimore herrschen sollte. Deshalb zog ich mich an den Lake George zurück. Ich nahm zwei Typen mit, denen ich vertrauen konnte. Und Edith. Ich sagte ihr, sie solle mitkommen, und sie kam mit. Wir blieben dort ein halbes Jahr, und niemand außer mir rührte sie an. Als sie zurückkehrte, erwartete sie ein Kind. Sie nannte das Kind Raymond Peter Kelly. Das war ein Privatscherz zwischen ihr und mir. Am Lake George gab ich mich nämlich als Raymond Peterson aus.«
    Bill stöhnte.
    Ich sagte zu Kapp: »Wir wollen die Unterhaltung im Auto beenden. Kommen Sie.«
    »Gut.«
    Er machte einen Schritt und fiel hin. Er blickte zu mir auf; in seinem Gesicht zuckte es vor Scham. »Es gab einmal eine Zeit, da machte mir eine solche Prügelei gar nichts aus. Überhaupt nichts.«
    »Das glaube ich Ihnen gern«, antwortete ich.
    Ich nahm die Luger in die andere Hand und half Kapp auf. Er stützte sich auf mich, während wir zum Wagen gingen. Ich musterte ihn, und mir war klar, dass er nicht weglaufen würde. »Ich komme gleich wieder«, sagte ich. »Diesen Teil brauchen Sie nicht zu wiederholen.«
    Er nickte. Ich öffnete die Tür, und er sank auf den Rücksitz; seine Füße baumelten heraus, sein Kopf lehnte seitwärts am Polster. Ich kehrte zu Bill zurück, der sich soeben aufrichtete und mit ausgestrecktem Arm an der Hüttenwand festhielt. Sein Gesicht war aschgrau.
    Ich stellte mich vor ihn. »Bill, ich habe dir etwas zu sagen.«
    »Geh mir aus dem Weg!«, knurrte er.
    »Im Auto sitzt ein alter Mann. Wenn du ihn umbringst, weil er die Wahrheit sagt, erschieße ich dich wie einen tollwütigen Hund. Was hast du getan, als du gehört hast, dass Ann tot ist? Hast du den Überbringer der Nachricht niedergeschlagen?«
    »Scher dich zum Teufel!«
    Ich trat zur Seite. »Du kannst Tatsachen nicht mit den Fäusten auslöschen«, fuhr ich fort. »Dein Vater war ein Gangsteradvokat. Mein Vater sitzt dort im Auto.

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