Mafiatod
wenigstens die Anwälte getrennte Büroräume.
»Er ist heute Vormittag nicht da.«
»Ach.« Ich runzelte die Stirn so sorgenvoll, wie ich nur konnte. »Ich möchte mit ihm in Verbindung treten. So bald wie möglich. Haben Sie eine Ahnung, wann er wiederkommt?«
»Oh, Mr. Cheever? Nein. Er kommt sehr selten ins Büro.« Sie nahm den Finger aus dem Buch. »Offen gestanden, ich frage mich manchmal, wozu er überhaupt hier ein Büro hat.«
»Empfängt er seine Mandanten nicht hier?«
»Wenigstens merkt man davon nichts.« Sie hatte sich schon tagelang, vielleicht wochenlang danach gesehnt, über Cheever zu reden. »Die einzigen Mandanten von Mr. Cheever, die ich jemals gesehen habe«, erklärte sie von oben herab, »sind die Spieler und Buchmacher und Lottoverkäufer, die er herschickt, damit Mr. Partridge die vertritt.« Sie beugte sich vertraulich vor, sodass ihre Brüste Langston Hughes umklammerten. »Meiner persönlichen Ansicht nach wird Mr. Partridge von Mr. Cheever mit derartigen Mandaten ausgenutzt. Ich glaube, es wird Mr. Partridges Ruf als Strafverteidiger sehr schaden, wenn es sich herumspricht, dass er mit Gaunern und Spielern zu tun hat.«
Ich lächelte über ihren Ernst und den auswendig gelern ten Satz, den sie schon in endlosen eingebildeten Dialogen immer wieder vorgebracht hatte. »Wenn Sie erst einmal mit Mr. Partridge verheiratet sind«, erwiderte ich, »werden Sie Mr. Cheevers Einfluss bestimmt überwinden.«
Sie errötete. Ihre Haut war hell genug, dass es entzückend aussah. Ihre Hände machten sich an den Papieren auf dem Schreibtisch zu schaffen.
Ich bereute, dass ich sie in Verlegenheit gebracht hatte; sie war ein reizendes Mädchen. Aber ich rechnete damit, dass sie meine Fragen bereitwilliger beantworten würde, wenn sie abgelenkt war. »Könnten Sie mir Mr. Cheevers Privatadresse geben? Ich muss noch heute mit ihm sprechen.«
»Ja, natürlich!« Sie war froh, an etwas anderes denken zu können. Sie blätterte in einem kleinen Notizbuch. Ich ließ mir von ihr Papier und Bleistift geben und schrieb die Adresse auf. Es war ein Haus an der Nordseite des Parks an der 110th Street, gar nicht weit entfernt.
Das riesige alte Mietshaus stammte noch aus den großen Tagen von Harlem, in denen alle vier Seiten des Parks wohlhabenden Weißen vorbehalten waren. Seither hatte der Zahn der Zeit daran genagt. In der großen Lobby blätterte der Putz ab. Die Wände des Aufzugs waren in siebenfacher Ausfertigung mit den üblichen Obszönitäten bekritzelt. Die Farbe an den Flurwänden im siebten Stock schlug Blasen, war abgeplatzt, bröselig und teilweise ganz abgefallen. Ich ging durch eine graue Tür, auf der LIEFERANTENEINGANG E-H stand. Ich befand mich in einem kleinen fünfeckigen Raum. Volle Müllsäcke lehnten an den Wänden. Der Betonboden zeigte ein noch dunkleres Grau. Auf allen vier Türen, die mich rundum umgaben, stand in weißer Farbe ein Buchstabe, viel roher hingesetzt als an den Wohnungstüren im Flur.
Die Tür mit dem Buchstaben G war verschlossen. Ich blieb stehen, als mir klar wurde, wie erleichtert ich deswegen war.
Ich hatte einen Menschen getötet, ohne es zu wollen. Ich hatte einen zweiten inmitten rascher Geschehnisse getötet, ohne auch nur darüber nachdenken zu können. Ich wusste nicht, ob ich imstande war, einen Menschen vorsätzlich und kaltblütig zu töten.
Was, wenn ich es nicht konnte? Es war ja gut und schön, von Rache zu reden; aber was, wenn ich es doch nicht über mich brachte?
Ich zwang mich, an Dad zu denken, wie ich ihn zuletzt gesehen hatte – mit entsetzt aufgerissenen Augen sterbend. Ich dachte an Bill und an die Frau, die ich nie kennengelernt hatte. Ich erinnerte mich, wie ich in dem großen Spiegel am Lake George ausgesehen hatte. Ich spürte die leere Augenhöhle in meinem Kopf, wo eine kleine Glaskugel das Auge nicht ersetzen konnte. Ich betrachtete das gezackte Loch, das in mein Leben gerissen worden war.
Aber es nützte nichts. Ich hasste Cheever nicht. Ich hasste keinen von ihnen. Ich empfand ein trostloses, verlorenes Mitleid mit mir selbst, sonst nichts.
Alles war vergeblich gewesen. Ich war schwach und unfähig, ich hatte diesen ganzen Weg für nichts und wieder nichts zurückgelegt.
Ich lehnte mich an die Eingangstür und rutschte daran hinunter, bis ich mit hochgezogenen Knien auf dem Fußboden saß; der Regenmantel bauschte sich um meine Hüften. Ich verschränkte die Unterarme auf den Knien und ließ meinen Kopf darauf
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