Magazine of Fantasy and Science Fiction 10 - Wanderer durch Zeit und Raum
kann?«
»Ich habe viele Jahre selbst Opium geraucht«, versicherte ich ihm.
Er schien befriedigt.
»Gut. Dann wissen Sie Bescheid. Als meine Mutter starb, überließ sie mich ihrer Hauswirtin als Ersatz für die rückständige Miete. Ein seltsamer Tausch, aber die Hauswirtin hatte keine Kinder und wollte immer eins. Eigentlich habe ich niemals herausfinden können, ob ich Elisabeths Bruder oder nur ihr Halbbruder bin, aber immerhin entführte sie mich mit Hilfe ihres Gatten nach Amerika, als ich dreißig Jahre alt geworden war. Zu jener Zeit hatte sie bereits ein Kind, und ein anderes trug sie unter ihrem Herzen.«
Allmählich begann ich, die Zusammenhänge zu begreifen.
»Und Ihr Roman?« erinnerte ich ihn.
»Ja, mein Roman. Er basierte auf meinen Erfahrungen jener Zeit. Mein Leben als Kind in Paris, aber keine Autobiographie, wenn Sie das meinen. Das läge mir auch nicht. Die Handlung lag fest in meiner Vorstellung verankert, aber ich beginne eigentlich nie zu schreiben, bevor ich nicht genau weiß, was ich sagen will. Ich habe ein erstaunlich gutes Gedächtnis und benötige kaum Stichworte. So auch bei meinem Roman. Ich sah ihn vor mir, in allen seinen Kapiteln und Höhepunkten. Ich hätte mich nur hinzusetzen brauchen und ihn niederschreiben müssen. Und das war auch meine Absicht. Da wurde er gestohlen.«
»Wie geschah es?«
»Anders als sonst. Ich hatte mir vorgenommen, am anderen Tag mit der Arbeit zu beginnen, aber als ich aufwachte und mich an die Maschine setzte, hatte ich alles vergessen.«
»Vergessen?« Ich sah ihn ungläubig an.
»Ja, vergessen. Nicht ein einziges Wort mehr fiel mir ein. Dabei hatte alles genau festgestanden. Es war ja meine eigene Geschichte gewesen. Kein Wort, keine Silbe. Alles war weg. Können Sie sich vorstellen, wie mir zumute war?«
»Allerdings. Und nun glauben Sie, daß der Junge schuld daran ist?«
»Was heißt schon glauben? Ich weiß es! Ich muß jedoch zugeben, daß ich keine Vorstellung davon habe, wie er es anstellt. Er muß ein Teufel sein, ein Dämon oder so was. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, daß er es war. Er und niemand anderer.«
»Sie sind gekommen, um sich hier Ihren Roman wieder zu holen?«
Statt einer Antwort lachte er nur grimmig. Dann sagte er:
»Geben Sie mir den Vogelkäfig, ich werde ihn nun tragen.«
Das Haus von William und Elisabeth lag hinter Bäumen verborgen. Der Weg endete vor dem Gartentor. Ich öffnete es, und bald standen wir alle, Oreste, Harms, Vilma und ich, vor der Haustür.
»Es ist gerade die Stunde, in der sie ihren Drink einnehmen«, sagte ich. »Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, so verzichten Sie bei der Begrüßung darauf, Alkohol zu sich zu nehmen.«
»Ich verzichte nie auf Alkohol«, erwiderte Oreste. »Aber ich bin so vorsichtig gewesen, mir meinen eigenen Vorrat mitzubringen. In Häusern wie diesem weiß man nie ...«
»Aber das ist doch Unsinn!« protestierte ich energisch. »Jeden Nachmittag trinke ich hier meinen Whisky, außerdem kenne ich William, seit er die ersten Hosen getragen hat.«
Oreste betrachtete mich mit erneutem Interesse.
»Ich hoffe nicht, daß Sie Ihr Mäntelchen nach dem Wind hängen.«
»Unsinn, aber ich halte Ihre Idee einfach für lächerlich. Niemals würden William oder Elisabeth ...« Mir fehlten die richtigen Worte, es ihm zu sagen. Aber er verstand mich auch so.
»Vergessen Sie nicht, daß niemand weiß, ob sie wirklich meine Schwester ist.«
»Sie spricht von Ihnen stets mit Hochachtung und Zuneigung«, versicherte ich ihm.
»Pah«, machte er nur.
Der Chinese öffnete uns die Tür.
»Willkommen, Mr. Oreste. Wir haben schon auf Sie gewartet.«
»Danke, Ah-So. Wirst du dich um meine Diener kümmern?«
Der Wohnraum war, wie gewöhnlich, durch die Bambusvorhänge abgedunkelt. Nach der Begrüßung bot William Getränke an. Oreste lehnte ab und sagte:
»Du wirst mir verzeihen, alter Freund, aber ich habe mir meinen eigenen Vorrat mitgebracht. Eine besonders milde Sorte, weißt du. Anordnung meines Arztes. Ich hoffe, du verstehst das.«
»Natürlich«, sagte William.
Oreste holte sich eine Flasche aus seinem Gepäck, kehrte zu uns zurück, schenkte sich ein, trank und sagte dann:
»Ich bin gekommen, um mir meinen Roman zu holen.«
»Oreste, begreife doch endlich, daß wir kein Wort von dem verstehen, was du sagst. Wir haben nichts damit zu tun, wie oft betonten wir das bereits.«
»Immerhin hast du meine Gedichte an CRITERION geschickt, das kannst du doch
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