Magazine of Fantasy and Science Fiction 10 - Wanderer durch Zeit und Raum
kommen. Hat Titus übrigens seinen Roman fertig?«
»Ich glaube schon. Er sagte gestern abend, er wolle ihn heute nacht beenden.«
»Ausgezeichnet. William und ich hatten befürchtet, die Ereignisse könnten ihn daran hindern.«
In den nächsten drei Tagen verließ Oreste sein Zimmer nicht. Die Mahlzeiten wurden ihm gebracht, vor die Tür gestellt und dort von ihm geholt, wenn er Hunger verspürte. Erst am vierten Tag tauchte er überraschend im Wohnzimmer auf. Ich saß dort mit meinen Freunden beim Gespräch.
»Diesmal«, sagte er und setzte sich, »habe ich etwas geschrieben, das sich von dem kleinen Teufel nicht so leicht stehlen läßt.« Er nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche, die er mitgebracht hatte.
»Hast du mit unsichtbarer Tinte geschrieben?« erkundigte sich William ironisch.
»Das wirst du schon selbst herausfinden müssen«, entgegnete Oreste und wandte sich dann an mich: »Sie können Titus bestellen, daß ich nicht länger an meinem Roman interessiert bin, weil ich jetzt etwas viel Besseres geschrieben habe. Er ist doch bei Ihnen?«
»Allerdings, und ich verstehe mich gut mit ihm.«
Ich fürchte, daß ich allzu schnell in die Falle tappte, die Oreste mir gestellt hatte, denn noch am selben Tag berichtete ich Titus, daß er sich wegen des Romans nun keine Sorgen mehr zu machen brauche, da sein Onkel etwas anderes geschrieben habe.
»Ich weiß«, sagte Titus.
Ich starrte ihn an.
»Du weißt das? Was weißt du?«
»Ich weiß, daß Onkel Oreste etwas anderes geschrieben hat, das ist alles.«
»Und wie kannst du das wissen?«
»Das ist ganz einfach zu erraten. Er hat sich drei Tage lang in sein Zimmer eingeschlossen und gearbeitet. Valerian hat es mir erzählt.«
»So also hast du es herausgefunden?« fragte ich atemlos.
»Ja«, erwiderte er, sah mich aber nicht dabei an.
»Iß, Titus! Und hör mir jetzt gut zu, verstanden?«
Er nickte. Langsam aß er weiter.
»Ich frage dich: weißt du, was dein Onkel Oreste in diesen drei Tagen geschrieben hat?« Er ließ den bereits erhobenen Löffel wieder sinken und legte ihn auf den Teller zurück. Er gab keine Antwort. »Du hast wohl immer noch nicht begriffen, daß ich dir helfen will? Warum, meinst du wohl, lasse ich dich bei mir wohnen?«
»Danke«, sagte er. »Ich weiß, daß Sie mich vor meinem Onkel beschützen wollen, außerdem haben Sie mir die Möglichkeit gegeben, meinen Roman zu beenden.«
Darauf hatte ich nur gewartet.
»Onkel Oreste behauptet, es sei nicht dein Roman.«
»Das sagt er! Dabei weiß er überhaupt nicht, was ich geschrieben habe.«
»Immerhin scheint er seiner Sache sehr sicher zu sein.«
»Mein Onkel ist verrückt.« Titus sagte es mit dem Brustton der Überzeugung. »Ich schreibe so, wie es mir in den Kopf kommt. Er hat nichts damit zu tun, und es interessiert mich nicht, was er sagt.«
»Und – wie kommen dir die Geschichten in den Kopf?«
»Das weiß ich nicht«, gab Titus zu. »Sie sind einfach da. Wie ist es denn bei den anderen Schriftstellern? Bei mir sind die Ideen vorhanden und warten darauf, niedergeschrieben zu werden. Mehr habe ich dann auch nicht zu tun. Ich nehme an, den anderen, die schreiben, geht es genauso.«
»Nicht allen, Titus.«
»Aber bei mir ist es eben so.«
»Und verstehst du auch alles, was du schreibst?«
»Ist das notwendig? Vater sagt, es gäbe eine ganze Menge Schriftsteller, die kein Wort von dem verstünden, was sie schreiben.«
Ich gab es vorerst auf und ließ Titus unter der Obhut meines Dieners zurück. Es war schon dunkel draußen, und ich nahm meine Laterne mit. Langsam wanderte ich über den steinigen Pfad zum Haus meiner Freunde.
Sie saßen in Elisabeths Nähzimmer. Sie las, William häkelte an einem Sofaschoner, und Oreste, der abseits saß, blätterte in seinem neuesten Manuskript. Er sah kaum auf, als ich eintrat. Neben ihm standen seine Flasche und ein Glas. Als ich mich setzte, sagte Elisabeth:
»Oreste, willst du nicht zu uns kommen?«
»Danke, ich habe zu tun.«
»Ich bin gekommen«, sagte ich betont, »um mit Ihnen allen zu sprechen.«
»Ich habe gute Ohren«, murmelte Oreste.
»Ich habe mit Titus gesprochen«, sagte ich.
»Die Mühe hätten Sie sich sparen können«, meinte er.
»Wie meinst du das?« wollte William wissen.
»Ich denke, das habe ich schon oft genug erklärt.« Oreste tat so, als lese er weiter in seinem Manuskript. Ich war wütend und sagte:
»Der Junge ist fest davon überzeugt, nur das niedergeschrieben zu haben, was ihm
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