Magazine of Fantasy and Science Fiction 17 - Grenzgänger zwischen den Welten
schon lange nicht mehr dazu gekommen.«
Darlene lächelte und nickte ihm aufmunternd zu. »Selbstverständlich, lesen Sie nur«, antwortete sie und schaltete selbst das Fernsehgerät vor dem Sofa ein.
Jonathan ließ sich in einen der Sessel fallen und balancierte das Buch auf den Knien. Er schlug das Alte Testament auf und las zunächst die Schöpfungsgeschichte. Sie war in der überlieferten Form wiedergegeben, enthielt aber keinerlei Hinweise auf Naturerscheinungen, die im Bauche des Wals nicht vorkamen – zum Beispiel das ›kleine Licht‹, das Gott geschaffen hatte, damit es die Nacht regiere. Auch die übrigen Bücher waren ähnlich redigiert worden, aber das Buch Jonas fehlte völlig. Offenbar wollten die Gründer der Kolonie nicht an ihre mißliche Lage erinnert werden.
Er schlug das Neue Testament auf. Auch hier waren unzählige kleine Veränderungen vorgenommen worden, und Jonathan glaubte schon, er müsse die Antworten auf seine Fragen irgendwo anders suchen. Aber dann stellte er zu seiner Überraschung fest, daß das Gute Buch auch ein drittes Testament enthielt.
Es trug die Bezeichnung Modernes Testament und war in fünf Abschnitte unterteilt. Der erste hieß Die neue Sintflut. Darin wurde beschrieben, wie Gott der Herr in seinem Zorn über seine bösen Kinder zweiundzwanzig Jahrhunderte nach der Kreuzigung eine zweite Sintflut hereinbrechen ließ. Aber zuvor befahl er den wenigen Getreuen unter der Führung von Georges Simms, Jim Connors, Ed Mazur und Tony Rivera, eine Arche mit dem Namen Prosperity zu bauen, darin alle Arten von Haustieren und Samen zu verladen und folgende Bücher mitzunehmen: die Bibel, Das Maschinisten-Handbuch, Der praktische Zimmermann , Mulrose Duffys Physik leichtgemacht , Albert Whittletons Mathematik für die Massen , David Coreys Werbepraxis und John O. Peetys Jeder Mann ein Handwerke r. Alles klappte genau nach Fahrplan, und nach vierzig Tagen und Nächten machten die Messrs. Simms, Connors, Mazur, Rivera & Co. sich daran, die Neue Zivilisation zu gründen. Kurz danach – so stand es jedenfalls in dem Buch – erschien Christus zum zweitenmal.
Der nächste Abschnitt trug die Überschrift Das zweite Evangelium des hl. Georg. Es beschrieb, wie Gott in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit seinen Sohn nochmals auf die Erde schickte, um ihn dafür sorgen zu lassen, daß diesmal alle Menschen den richtigen Weg fanden. Sein Sohn lieferte daraufhin das Schema für die Neue Zivilisation, ausführliche Anleitungen zur Weiterentwicklung der Wirtschaft und ein Kredo, das in Stil und Wortwahl für das gesamte Moderne Testament typisch war: Mein Vater hat euch diese Welt gegeben, damit ihr glücklich und zufrieden leben könnt. Benehmt euch also dementsprechend! Und denkt immer daran: Niemand ist besser als seine Mitmenschen, nur weil er zufällig ein größeres Haus, ein größeres Auto oder einen besseren Job hat. Und bleibt gefälligst dort, wo ihr jetzt seid – mein Vater will keine Menschen in seinem Himmel sehen.
Die dritten, vierten und fünften Abschnitte des Modernen Testaments hießen dementsprechend Das zweite Evangelium des hl. Jim , Das zweite Evangelium des hl. Ed und Das zweite Evangelium des hl. Tony . Sie unterschieden sich kaum von dem anderen, obwohl der hl. Jim genaue Anweisungen für den Bau eines Verbrennungsmotors gab, während der hl. Ed die Konstruktion eines Elektromotors beschrieb und der hl. Tony sich weitschweifig über die Verarbeitung von Rohöl ausließ. Die Gründer der Kolonie hatten bestimmt ihre Fehler gehabt – aber jedenfalls waren sie keine unpraktischen Träumer gewesen.
Jonathan legte das Gute Buch auf das Tischchen zurück und setzte sich wieder in seinen Sessel. In seinem Kopf schien sich alles zu drehen, deshalb versuchte er sich für das Fernsehstück zu interessieren, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber die Handlung und die Darsteller waren so naiv, daß er sich fragte, weshalb Darlene so gespannt auf den Bildschirm starrte. Allerdings verfolgte sie die Story doch nicht so aufmerksam, daß ihr entgangen wäre, daß ein Wagen vor dem Haus hielt. Wenige Sekunden später näherten sich rasche Schritte der Haustür.
Darlene sprang auf, rannte zur Tür, riß sie auf und sah in den leichten Regen hinaus, der seit einer Stunde fiel. »Mom! Dad!« rief sie dann. »Ben ist wieder da!«
Als Mr. und Mrs. Meadows aus der Küche in das Wohnzimmer kamen, trat ein hochgewachsener junger Mann über die Schwelle. »Langsam, langsam«,
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