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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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gesehen, er war nicht bei Bewusstsein, Minuten später schoben sie ihn in den Operationssaal. Eine Hirnblutung stellten sie fest, «nichts zu machen». Peter war in seinem Sportclub beim Judotraining gestürzt, nicht einmal bös, Kameraden fanden ihn ohnmächtig in der Umkleide. Sein Tod mit gerade mal dreißig Jahren blieb mysteriös, er war die Fortsetzung einer Familientragik, schien mir. Peter und ich waren uns nie nahe, als Kinder nicht und auch jetzt nicht. Dennoch wusste ich einiges, wusste, wie sehr er unter dem ungeliebten Malerberuf litt, dass seine Braut ihn im Vorjahr, wenige Wochen vor der Hochzeit, verlassen hatte. Nachdem sein Lebensplan zerstört war, hatte er, wie Mutter erzählte, wie besessen Sport gemacht, sich auf diesem Feld beweisen wollen. Und jetzt der Tod.
    Wir versuchten, Mutter eine Hilfe zu sein. Sie war untröstlich, und zugleich organisierte sie tapfer das Nötige. Vater rührte sich seit der Unglücksnachricht nicht vom Fleck, er kümmerte sich um nichts. Möglicherweise hat ihn in diesen Tagen ein Schlägle gestreift. Mir fiel etwas später auf, dass seine Stimme zwei Töne höher lief als früher, daraus schloss ich, dass es so gewesen sein könnte.
    Auch in dem Schmerz war das Gefühl der Fremdheit, das ich schon in meiner Kindheit hatte – hier gehöre ich nicht hin. Jetzt waren wir noch zwei Schwestern, der Tod des Bruders brachte uns nicht näher. Christel war schwanger, auch das konnte mich nicht rühren. Am Tag nach dem Begräbnis fuhren wir erleichtert nach Hause, in unsere eigene Welt zurück. Lukas, den wir bei Tante Hanna gelassen hatten, fragte nicht viel.
    Ein gutes halbes Jahr später trauerte er mit uns, nach kurzer Krankheit starb unsere liebe Kindergärtnerin Hanna, mit einunddreißig Jahren, an Krebs. Er weinte sehr und glühte vor Zorn, weil wir ihm nicht erlaubten, hinter dem «Totenschächtele» herzulaufen.
    Im zweiten Sonnenmatter Jahr wurde unser Leben äußerlich ruhiger. Nicht so planmäßig wie bei den meisten Familien. Außer den Mahlzeiten, die wegen Konrad und Lukas pünktlich fertig sein mussten, gab es wenig feste Regeln. Einen Tag in der Woche hielt ich mir ganz frei für Lukas, meistens spielten wir Lego. Inzwischen war er ein sehr geschickter Baumeister geworden, die «Böllele» waren ideal für ihn, anders als die klassischen Holzklötze hielten sie aufeinandergesteckt zusammen, ließen sich gut transportieren. Stundenlang saß er da und tüftelte an Gebäuden, die er sich selbst ausdachte. Wenn wir miteinander «gelegot» haben, stritten wir uns regelmäßig.
    «Du hast die größere Platte.»
    «Die brauche ich, ich brauche eine blaue.»
    «Nein, das Schwimmbad baue ich.»
    «Du baust das Sprungbrett.»
    Wir stritten uns wie kleine Kinder – in dem Moment, wo wir bauten, waren wir gleichberechtigt. Das Übergewicht des erwachsenen Menschen ist im Spiel total weg gewesen. Für Lukas war Lego das, was für mich früher das Zeichnen war. Es ging darum, die Welt nachzuvollziehen, Gestalt, Proportion, auch Farbe natürlich, soweit der Sehrest es eben zuließ. Architektur war sein liebstes Thema, Kirchen vor allem, Kirchen jeder Art. Sobald eine fertig war, feierte er Gottesdienst. Dann hat er sich theatralisch sein Messgewand umgeworfen, einen Fetzen Stoff, rot mit grüner Borte. Er hatte eine Glocke und ein holzgeschnitztes Altärle, das er von seinem Onkel Peter geerbt hatte und auf das er sehr stolz war. Davor ein Wachskerzle, es musste richtig gerade stehen, anzünden durfte er es leider nicht. Es gab furchtbar viel zu tun: Lukas war Pfarrer, Mesner, Ministrant und Organist in einem. «Mama, sei still! Jetzt ist Wandlung.»
    Eines unserer schönsten Sonntagsvergnügen war, irgendwo eine alte Kirche anzugucken. «Hast du auch dein Glotz dabei, Mama?» Inzwischen hatte er sein eigenes. Wir betrachteten alles, Ausschnitt für Ausschnitt, bis hinauf zum Turm. Konrad machte uns auf dies und das aufmerksam, auf die Wasserspeier, Fensterbögen, auf bestimmte Heilige. «Schau, der Evangelist Lukas. Der mit dem Stier.» Mit knapp fünf Jahren wusste unser Sohn, was ist Gotik, was ist Romanik. Dazu beigetragen hat der Bildband «Deutsche Dome», den wir ihm einmal, als er krank und sehr unruhig war, ans Bett gelegt hatten. Offenbar konnte er die Kirchen unterscheiden und sich ihre Merkmale einprägen. Von einem Wochenende im Elsass haben wir ihm eine Postkarte von der Abteikirche Murbach mitgebracht. «Oh, das kenn ich!», rief er und rannte in sein

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