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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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mir zeigen, wie ich auf das Grundstück komme? Ich mag nicht rumtasten und rumtaumeln. Es guckt bestimmt jemand zu.»
    «Ganz einfach, da ist ein Loch im Zaun.»
    Sie führte mich dorthin. Wir quatschten weiter, setzten uns für einen Moment an die Böschung. In einem unbeobachteten Augenblick nahm sie meine Hand und lenkte sie an die Stelle, wo der Zaun kaputt war. «Jetzt rechts fassen und durch. Das Loch ist groß genug für Sie.» Mit zwei Schritten war ich im Acker, die Rüben dort standen kniehoch. Zwischen den Reihen hab ich gut durchgehen können – ein Pfad, der schnurgerade auf das Objekt meiner Begierde zuführte. Unter meinen Füßen hab ich die Äpfel gespürt, viele, viele, im Nu waren die Eimer voll. Ich lehnte mich an den Stamm des Goldparmänen-Baums, hab ihn zum Dank gestreichelt, meinen Kopf ein wenig an der borkigen Rinde gerubbelt. Was wäre, wenn diese Bäume mir gehören würden, hab ich gedacht, und an die Szene in «Frau Holle»: den Apfelbaum, der sagt: «Schüttle mich!», und an das Mädchen, das im Märchen für seine Liebe und Sorgfalt reich belohnt wird.
    Im Jahr 1968 ist Konrad vorgeprescht, als wäre er ein Mir-gehört-die-Welt-Typ. Auf Nachfrage hat sich schnell herausgestellt, das Grundstück nebenan war zu erwerben. Verschiedene Leute hatten es vor uns versucht und waren abgeblitzt. Die Besitzerin ist nämlich mit dem Dorf zerstritten gewesen, deswegen hat sie unbedingt an Ortsfremde verkaufen wollen, das kam uns zugute.
    Sparkasse, Landsratsamt, Notariat. Konrad hat immer Lukas mitgeschleift, der Knirps rührte die Herren, das beschleunigte jedes Genehmigungsverfahren und später die Liefertermine. Wir haben uns für ein Fertighaus der Firma «Fritz» entschieden, etwas ziemlich Hochwertiges. Sieben Zimmer, weniger kam für Konrad nicht in Frage, und weil wir alle drei sehr gern badeten, eine großzügige Sanitärabteilung. Zentralheizung natürlich, das war damals das Größte überhaupt, nur ein Knopfdruck, und es war warm. Allerdings sollte in der Küche zusätzlich ein Holzherd eingebaut werden, mit dem wir im Notfall den vorderen Teil des Hauses heizen könnten. So viel Krisenbewusstsein war bei uns Kriegskindern noch vorhanden.
    Lukas hat alles mitverfolgt und durfte Wünsche äußern. «Da tät ich ein Fensterle hinmachen.» Darüber haben wir dann auch wirklich nachgedacht. Mancherlei Flausen mussten wir uns allerdings aus dem Kopf schlagen. Mein Sohn und ich hätten am liebsten eine römische Villa gehabt, wie bei unseren Legospielen, mit einem Atrium, in dem Gras und Blumen stehen, und einem Schwitzbad, wo man auf den Stufen herumlümmeln kann.
    Im September 1968 ging es los. Zuerst rückten zwei Leute an, das Baufenster markieren, sie steckten rot-weiße Pfosten auf den Acker. «Wir kriegen einen Bahnübergang!», jubelte Lukas. Zwei Tage lang hat er Schrankenwärter gespielt und imaginäre Züge zwischen den Apfelbäumen durchfahren lassen. Plötzlich brummte es vom Unterdorf her, ein Riesenfahrzeug näherte sich. «Bätsch», hat es gemacht. «Bätsch!» Lukas geriet in Panik und flüchtete ins Haus, zu mir in die Küche. «Ich hab so Angst vor dem Bätschlädenwagen!» Nie zuvor hat er einen Tieflader gehört, das Krachen einer Rampe – für Menschen, die nicht viel sehen, einer der schlimmsten aller Schrecken. «Jetzt fährt der Bagger runter», erklärte ich ihm, «und der baggert das Loch für unser Haus.»
    In den nächsten Wochen hingen Lukas und ich oft im Rapunzel-Fenster und guckten mit unseren Glotzis, wie aus einer Theaterloge, was sich da unten tat: auf die Berge von Aushub, die da wuchsen, die Dränagegräben, wie der Kellerunterbau gegossen wurde. Das Tollste war, als Ende Oktober das Haus in einzelnen Teilen angeschwebt kam. Ganze Zimmer, das Bad als fertige Zelle, samt Kacheln und Spiegelschrank. Zuletzt der Giebel, er lag eine Nacht auf dem Acker, anderntags hievte der Kran ihn hoch. Das Haus stand nun komplett, und wir feierten Richtfest.
    Einer der letzten goldenen Herbsttage in Sonnenmatt. Mit einem Dutzend Bauarbeitern saßen wir zusammen, die meisten waren Italiener, an zwei Tapeziertischen, die ich im großen, noch völlig nackten Wohnzimmer gedeckt hatte. Das Essen hat eine Nachbarin geliefert, mit ihrer «Agria», dem unvergesslichen Armeleutetraktor dieser Zeit (ein Motor auf zwei Rädern und einem Minianhänger, der zugleich Fahrersitz ist), karrte sie zwei Eimer Gulasch und eine Mordsschüssel Feldsalat an. Und der völlig überdrehte

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