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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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aus dem Studium, die Konrad besuchte, Lehrer oder Pfarrer. «Wo ist der Schlüssel von der Orgel?», war immer der erste Satz nach der Begrüßung. Um der Sache Nachdruck zu verleihen, hat er eine Flasche Wein dabeigehabt. Während wir uns an die Kaffeetafel setzten, rauschte Lukas in die jeweilige Dorfkirche ab. Er hat jeden noch so versteckten Hauptschalter gefunden, in null Komma nichts die Orgel zum Laufen gekriegt und sie ausprobiert. Tasten, Register. Er suchte nach dem Trompetenregister und holte sich die Posaunen dazu, was eben da war bei diesen ländlich-rustikalen Instrumenten. Stundenlang übte er Lieder. Zwischendurch auch unter Einsatz des Pedals, dass es mächtig dröhnte und hallte. Dazu musste er ein wenig vom Schemel rutschen, denn seine Beine sind eigentlich noch zu kurz gewesen, um an die Klaviatur da unten ranzukommen.
    Mit zehn hat er dann seinen ersten Organistenjob gekriegt, wieder mal im Schlepptau von Konrad. Der hatte sich von einer netten Mutter Oberin breitschlagen lassen, in der Hauskapelle des neueröffneten Sanatoriums, unweit von Sonnenmatt, den Messdiener zu spielen. «Als Lehrer sind Sie doch sicher auch mit der Orgel vertraut, Herr Weingartner?» Wie aus der Pistole geschossen antwortete Lukas, der neben ihm stand: «Der Papa nicht. Aber ich.» An einem Donnerstag nach Ostern hat er seine erste Messe begleitet, mit zwei Liedern: «Halleluja, lasst uns singen» und «Wir singen jubelnd, dass er lebt». Ich hab in der vordersten Bank gesessen mit stolzgeschwellter Brust. Diesen 26. April 1973feiert Lukas heute noch.
    Ein besonders wechselhafter, windiger Monat war dieser April, der uns viele Nachtfröste bescherte und in dem Konrad und ich mehr als sonst nachdachten. Auf welche Welt bereiteten wir unseren Sohn eigentlich vor? Ihm zuliebe waren wir nach Sonnenmatt gezogen, in einen zuverlässigen, soliden Zusammenhang. Ein Dorf, dessen Fundament die Landwirtschaft war und darauf aufbauend eine Gemeinschaft, die aber nicht völlig abgeschottet, nicht in erdrückender Enge lebte wie manches Schwarzwalddorf, sondern eine gewisse Offenheit hatte. In angrenzenden Gemeinden gab es ein wenig Tourismus, die Nähe zum Elsass war spürbar. Und jetzt, binnen weniger Jahre, in Lukas’ Grundschulzeit, veränderte sich das alles so rasant, dass uns schwindlig wurde. Aus der Distanz heraus würde ich sagen: Vor unserer Nase fand ein Weltuntergang statt.
    Es gab Vorboten, die wir zunächst nicht als solche deuteten, sondern einfach nur neugierig begrüßten. Zum Beispiel den ersten Münzfernsprecher im Dorf. Das war ein Trara! Der Bürgermeister redete und zerschnitt feierlich das Band, ein Menschenauflauf wie an Palmsonntag. Jeder wollte anschließend in die Telefonzelle, sie wenigstens kurz betreten. Und natürlich musste ich für die Zeitung darüber schreiben. Da Konrad alle meine Artikel in chronologischer Folge abgeheftet hat, können wir vieles nachschlagen, was und wann, wie die Ereignisse aufeinanderfolgten. Am 13. August 1967 war die Eröffnung der Telefonzelle, Überschrift: «Für eine Mark nach Übersee».
    «341 Einwohner in Sonnenmatt», verkündete das Blatt im selben Jahr, kurz nach Weihnachten, «5 Geburten, 4 Tote, 3 Eheschließungen.» Anfang Januar 1968 wurden in der Zeitung die Ergebnisse der Viehzählung bekanntgemacht. Ich erinnere mich, Konrad war einer der beiden amtlich bestellten Zähler, die abends durchs Dorf liefen und hinter die Stalltüren guckten. Vor Pferden, weiß ich noch gut, hatte er interessanterweise Angst – vor ihren großen Zähnen. Und ich machte aus der Statistik ein paar solide kurze Sätze: «11 brave Gäule helfen bei der Feldarbeit, im letzten Jahr waren es noch 14. Der Bestand an Großvieh ist beträchtlich zurückgegangen. Trotzdem zählte man noch 214 Stück Rindvieh, die Zahl der Schweine ist stark angestiegen, die der Hühner hält sich. Bienenvölker zählt man 31, Truthühner 12, Enten 27, Ziegen 5.»
    Klingt noch ganz nach alter Zeit. Dass bald das Dorf beinahe ohne Nutztiere sein würde, konnte sich damals wohl niemand wirklich vorstellen. In dem Jahr nach unserem Einzug ins neue Haus, 1969, haben Lukas und ich oft auf der Fensterbank in seinem Zimmerle, das vorn zur Straße rausging, gesessen, und den Geräuschen da draußen nachgelauscht. Wer ist das? Ein Pferdefuhrwerk, zwei Pferde, und einem von beiden fehlt ein Hufeisen? Herr Maier! Ein kleiner tuckernder Schlepper, wer ist das? Die wenigen Traktoren im Dorf kannte Lukas alle am

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