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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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er kennt Menschen aus England. Ein stilechtes englisches Teepicknick wollten wir machen. Wegen der Hitze hatte John, der am Steuer saß, vorne das Fenster geöffnet. Mein Platz war hinter ihm, neben dem Kühlschrank und den drei Gasflaschen. Dort hatte ich es mir mit meinem Punktschriftbuch gemütlich gemacht, mit Flauberts «Madame Bovary». Die Buchstaben wackelten kaum, denn die Autobahn war schnurgerade und der Linksverkehr gewohnte John fuhr Schneckentempo. Auf einmal ein «zszszszsssssssssssssssssss». Sofort machte ich die Augen zu, ich spürte das Feuer nur. Die Gasflaschen, dachte ich, und ich hörte noch, wie die beiden vorn mit den Gurten kämpften, das Aufklappen der Türen, das Zuklappen. Die lassen mich hier verbrennen!
    Wie ich es geschafft habe, über die hohe Rückenlehne zu klettern, weiß ich nicht. Ich ließ mich seitlich durchs Fenster fallen, einfach in die Tiefe, und hab mich im staubigen Autobahngras gewälzt. Lief dann kopflos auf dem Grünstreifen irgendwohin, mein verschmortes Kleid mit den Händen suchend, und landete schließlich in einer Sanddornhecke. Dort klaubten mich zwei Lastwagenfahrer heraus, die angehalten hatten, sie erstickten die letzten Flammen mit einer Decke. John und Mary waren auf einmal neben mir. Soweit ich das mitkriegte, spekulierten sie darüber, ob der Caravan explodieren würde. «Don’t worry, gentlemen», schrie ich, «wir leben, wir leben!»
    Mit Gewalt betteten mich die zwei Helfer ins Gras. «Mir geht es gut, ich hab doch nix.» Erst als das Tatütata des Krankenwagens sich näherte und sie mich einluden, begriff ich, dass ich in Lebensgefahr war. Unterwegs hätte ich die ganze Strecke bis Müllheim gesungen, erzählten die Rotkreuzmänner später, «We shall overcome», nicht wirklich gesungen, geröchelt, und Gebete gekrächzt: «Lieber Gott, danke, dass ich Licht sehe. Danke, ich lebe!» Mein Mund, der im Feuer geschrien hatte, war innen versengt, das Gesicht überhaupt nicht, auch der Nacken nicht, der Hals nicht, nur der Mund. In der Klinik stellten die Ärzte fest, die ganze linke Seite war verbrannt, der Arm bis zum Ellbogenknochen durchgeschmort, meine Brust, Hüfte und Schenkel, das Bein bis zum Rand der Baumwollsöckchen – 34% der Körperoberfläche, bei 33% stirbt der Mensch normalerweise.
    Vierzehn Tage lang habe ich mit dem Tod gekämpft. Gebirge von Brandblasen haben sich aufgeworfen, riesige und viele kleine. Weder Hemd noch Leintuch habe ich vertragen können, ich lag nackt, auf der rechten unversehrten Schulter und Hüfte, auf einer Art Bügelfolie, die zwei Mal am Tag gewechselt wurde, weil der Wundsaft nur so von mir weglief. Täglich kriegte ich Spritzen zur Desinfektion, gegen die Sepsis, die drohte. Verbände hatten keinen Sinn, das einzig Lindernde: eine Art Öllappen, die legte man auf die schlimmsten Stellen. Im Schmerz und im Fieber habe ich viel geschrien, die meiste Zeit habe ich still vor mich hingedämmert. Der Chef der Müllheimer Klinik hat jeden Tag geguckt, ob ich noch weiterlebe.
    Ganz bewusst haben mich die Ärzte nicht isoliert, ich sollte um mich herum andere Menschen hören. Anfangs lag eine alte Frau mit mir auf dem Zimmer. Wenn ich lange nicht gepiept habe, fragte sie: «Frau Weingartner, schlafen Sie?» Täglich ist Konrad gekommen, später auch Lukas. «Hört uns Mama noch?» Sein angstvolles Fragen habe ich nicht wahrgenommen. «Lebt Mama?» – «Ja, sie atmet.» Die beiden müssen fürchterliche Not gehabt haben.
    Lange noch hatte ich Dreck in mir. Nach drei Wochen sind aus dem Schenkel fingerlange Dornen, vom Sanddorn an der Autobahn, herausgekommen. Daraufhin haben mich die Schwestern in ein Kamille-Bad gesteckt, und dann war ich nochmal bei 41 Grad Fieber. Viele Monate dauerte die Genesung. Monate, in denen ich viel Musik hörte. Immer griffbereit waren die georgischen Lieder, die tiefen, miteinander verwobenen Männerstimmen, die noch im Summen voll tönen. An guten Tagen holte ich mir die Welt aus dem Radio. Im August berichteten sie regelmäßig über den Unfall von Niki Lauda auf dem Nürburgring, in letzter Sekunde hatte man ihn aus dem brennenden Ferrari gezogen. Ganz Europa schien ihn zu bedauern. Was macht er für Fortschritte? Bei ihm schien es weniger schlimm gewesen zu sein als bei mir; er konnte nach sieben Wochen wieder sein Training aufnehmen, während ich ans Bett gefesselt blieb. Mit den Zehenspitzen klopfte ich manchmal ans Fußende, die Zehen waren unverletzt, und ich stellte mir vor, ich

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