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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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wieder gut wird.»
    Jeden Tag besucht mich Professor Wolf. «Das hast du aber lang verborgen», sagt er, nicht böse, doch sehr, sehr ernst. «Du musst besser auf dich aufpassen, Magdalena.» Aus meinem Bauch hängen Schläuche, aus denen rinnt übelriechende Flüssigkeit in den Verband. Weil der nur alle zwei Tage gewechselt wird, beträufelt man ihn mit Rosenessenz. Mein Blinddarm ist angeblich weg. Blind-Darm, was für ein komisches Wort!
    Nachts kommt das Fieber wieder, ich verirre mich in den Erdbeerfeldern, am Tag versuche ich ab und zu, mich aufzusetzen und das Buch aufzuschlagen, das ich im letzten Moment eingepackt habe. «Es wird heilige Kinder geben», das Buch, das ich zur Erstkommunion geschenkt bekommen habe, jetzt will ich es erneut lesen: die Geschichte der kleinen kranken Nennolina aus Rom, die mit sechseinhalb Jahren stirbt und die Jesus so liebte, dass der Papst vorgeschlagen hat, sie selig- oder heiligzusprechen. Ja, ich bin auch vom Sterben bedroht, glaube ich, deswegen falte ich, sooft es geht, meine Hände und bitte Jesus und die Mutter Maria, mir zu helfen, ein heiliges Kind zu werden.
    In diesen Junitagen wurde auch mein liebes Fräulein Pfeiffer krank. Sie hielten es jedoch vor mir geheim, bis die gefährliche Krise vorüber war. Eines Abends zog mich Professor Wolf an den Füßen.
    «Magdalena! Hörst du? Magdalenaaaaaaa!» Was sagt er? Ich sterbe doch, sieht der Professor das nicht?
    «Du darfst jetzt ganz langsam mit dem Po bis zum Kopfkissen raufrutschen und dich dann wieder runterschaffen.»
    Mechanisch gehorchte ich. Aufwärts ging es, wenn auch sehr, sehr mühsam, abwärts nicht mehr, für den Rückweg war ich zu schwach. Daraufhin fasste der Professor mich vorsichtig an den Füßen und zog mich übers Laken, linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, zentimeterweise, immer nur ein winziges Stückchen. «So, das machst du ab sofort mehrmals täglich. Ein bisschen fahren in deinem Bett. Mehr nicht.» Fahren? Der hatte gut reden. Ihm zuliebe probierte ich es, und tatsächlich schaffte ich es, mit jedem Tag ein wenig besser. Und dann ging es wieder von vorne los mit dem Eiter in der Bauchhöhle. Später schienen mir diese Wochen wie ein klassischer Roman der Genesung. Was alles braucht der Mensch, um vom Beinahe-Sterben ins Leben zurückzukehren?
    Auf meinem Nachttisch stand das hölzerne Ding, ein Geschenk meiner Mutter, ein Vogel mit einem Schnabel, den man rauf- und runterklappen konnte. Den hab ich jeden Morgen so gestellt, wie ich aufgelegt war. «Wie geht es deinem Vogel?», erkundigte sich Professor Wolf, bei seiner täglichen Visite sah er immer zuerst nach dem Vogel. «Ach, ich sehe, er hat den Schnabel in der Höh. Es geht dir also gut.»
    «Ja, heute habe ich wenig Schmerzen.»
    Der Körper machte Fortschritte, nur die Seele nicht. Im Gegenteil, sie trudelte in die andere, entgegengesetzte Richtung. Der Professor schien es mir anzusehen.
    «Du willst doch weiterleben, Magdalena?»
    «Nicht so arg. Mir ist egal, ob ich lebe oder nicht.»
    Er fasste mich sachte bei den Zöpfen. «Das sagst du jetzt so. Du willst schon leben. Du bist doch gut in der Schule. Es geht dir doch gut.»
    «Nein» mochte ich nicht sagen. Denn alle hier, der Professor, die Schwestern, die kranken Frauen, die mit mir im Zimmer lagen, wollten, dass es mir gutgeht. Niemals zuvor hatte ich so viel Aufmerksamkeit erfahren, nie war ich so verwöhnt worden. Dabei hatte sich wohl mein Panzer gelöst, das trotzige Was-ich-nicht-kriege-brauche-ich-nicht. Jetzt hatte ich es, das, was alle brauchen, eben auch ich. Mittlerweile fast schmerzfrei, war ich hier wie im Paradies, einem wirklichen Paradies, und ich wollte nicht mehr weg von hier, fürchtete den Tag, an dem ich für gesund erklärt und nach Hause geschickt wurde. Vier Wochen waren bereits vergangen, nach der fünften war es so weit: Ich nahm tränenreich Abschied.
    Vorsicht mit Obst und rohem Gemüse, schärften die Schwestern meiner Mutter, die mich abholte, noch ein. Zu Hause schrien die beiden Kleinen wie am Spieß. Anderntags kam der Doktor zu ihnen, Peter und Christel hatten Masern, unsere arme Mutter musste nun drei mehr oder weniger kranke Kinder versorgen, wegen der Ansteckungsgefahr in zwei getrennten Zimmern. Zweimal Krankenkost, die einen Frisches, ich Gekochtes.
    Sobald Mutter zwischendurch verschwand, um Arbeiten im Haus oder in der Werkstatt zu erledigen, besuchte ich die Geschwister nebenan. Sie lagen matt und jammernd da, und ich plünderte die

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