Maggie O´Dell 01 - Das Boese
hoch. Sein Haar war noch feucht, und er fröstelte. Er streifte Agentin O‘Dell, die lediglich ihr Wolljackett und die passende Hose trug, mit einem Blick. Zwar knöpfte sie ihre Jacke zu, doch ließ sie nicht erkennen, dass ihr die schneidende Kälte zusetzte.
Er beobachtete, wie vorsichtig sie um den im Gras sichtbaren Abdruck des kleinen Körpers herumging. Sie hockte sich hin, prüfte die abgeknickten Grashalme, nahm einen Finger voll Schlamm und roch daran. Mit Widerwillen erinnerte Nick sich an den Verwesungsgeruch. Seine Haut fühlte sich immer noch wund an, weil er versucht hatte, den Gestank abzuschrubben.
Agentin O‘Dell erhob sich wieder und schaute zum Platte River hinunter. Das Ufer war nur anderthalb bis zwei Meter entfernt. Der Hochwasser führende Fluss schäumte, und die Wellen klatschten ans Ufer.
„Wo haben Sie den Anhänger gefunden?“ fragte sie, ohne ihn anzusehen.
Nick ging zu der Stelle und entdeckte das weiße Zeichen, das sein Deputy dort in den Boden gesteckt hatte. „Hier“ , sagte er und deutete auf die Plastikmarkierung, die fast im Schlamm verschwunden war.
Sie sah von der Stelle zum Fundort der Leiche. Dazwischen lagen nur wenige Schritte.
„Der Anhänger gehörte dem Jungen. Seine Mutter hat ihn identifiziert“ , erklärte Nick und bedauerte immer noch, dass er ihn Laura Alverez trotz ihrer Bitte nicht hatte zurückgeben dürfen. „Die Kette war gerissen. Vermutlich ist sie ihm im Kampf abgerissen worden.“
„Außer dass es keinen Kampf gab.“
„Wie bitte?“ Er sah sie an und erwartete eine Erklärung. Doch sie war bereits wieder in der Hocke und maß mit einem kleinen Messband den Abstand zwischen der Markierung und der Druckstelle im Gras.
„Es gab keinen Kampf“ , wiederholte sie ruhig, richtete sich auf und wischte sich Schmutz von Ärmeln und Hosenbeinen.
„Wie kommen Sie darauf?“ Ihre gelassene Feststellung ärgerte ihn. Sie war erst ein paar Minuten hier und schien schon alles zu wissen.
„Sie sind hier gefallen, als Sie stolperten, richtig?“ Sie deutete auf das abgeknickte Gras und die Delle im Schlamm.
Nick wand sich innerlich. Sogar sein Bericht ließ ihn wie einen Trottel aussehen. „Das ist richtig“ , bestätigte er.
„Das niedergetrampelte Gras stammt offenbar von Ihren Deputys.“
„Und vom FBI“ , fügte er verteidigend hinzu, obwohl ihm klar war, dass solche Details sie nicht interessierten. „Sie hatten die Federführung, bis wir eine Entführung ausschließen konnten.“
„Abgesehen von dieser Stelle und dem Fundort der Leiche gibt es kein abgeknicktes oder niedergewalztes Gras. Das Opfer war an Händen und Füßen gefesselt, als Sie es fanden?“
„Ja, die Hände waren hinter dem Rücken gefesselt.“
„Ich vermute, dass er bereits so hier ankam. Hat der Gerichtsmediziner schon eine ungefähre Todeszeit und den Todesort festgestellt?“ Sie holte ein kleines Buch hervor und trug ein paar Notizen ein.
„Er wurde hier draußen getötet, ungefähr vierundzwanzig Stunden, ehe ich ihn fand.“ Ihm war wieder üb el. Nick fragte sich, ob er den Anblick des toten Jungen mit den großen, unschuldig zum Himmel starrenden Augen jemals vergessen konnte.
„Wann ist das Opfer verschwunden?“
„Früh am letzten Sonntagmorgen. Wir fanden sein Fahrrad und den Beutel mit Zeitungen an einem Zaun. Er hatte seine Tour noch nicht einmal angefangen.“
„Dann war er drei volle Tage in der Gewalt des Täters.“
„Großer Gott!“ entfuhr es Nick. Er hatte über die Zeit zwischen dem Verschwinden und dem Mord nie nachgedacht. Da alle davon ausgegangen waren, der Junge sei bei seinem Vater oder von jemandem entführt worden, der Lösegeld haben wollte, hatte auch er geglaubt, er sei in guter Obhut.
„Also, wie ist dann die Kette zerrissen?“ Nick mochte nicht daran denken, was der Junge vielleicht durchgemacht hatte.
„Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Der Täter hat sie ihm vielleicht abgerissen. Es war ein silbernes Kreuz, nicht wahr?“ Sie sah ihn auf Bestätigung wartend an. Er nickte nur, beeindruckt, weil sie so viele Details aus seinem Bericht kannte. Sie fuhr fort, als denke sie laut nach. „Vielleicht mochte der Killer es nicht ansehen. Vielleicht konnte er sein Vorhaben nicht ausführen, solange das Opfer dieses Kreuz trug. Es ist ein religiöses Symbol, das Schutz bietet. Vielleicht war der Täter religiös genug, das so zu empfinden, und ihm war unbehaglich dabei.“
„Ein religiöser Killer? Na,
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