Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
mehr als eines genehmigen.“
„Verräterin.“
Gwen war erleichtert, dass Maggie darüber scherzte, zumal sie ihr beim letzten gemeinsamen Dinner vorgeworfen hatte, sie brauche den Scotch mehr, als ihr bewusst sei. Maggie hatte sie lediglich mit einem strafenden Blick bedacht, der sagte, sie solle sich da raushalten. Die Sorge um ihre Freundschaft war jedoch unbegründet. Maggie hielt daran fest. Und für Gwen ging sie mit einer unerklärlichen mütterlichen Fürsorge einher.
Sie war fünfzehn Jahre älter als Maggie. Seit ihrer ersten Begegnung, als Maggie Assistentin in der forensischen Abteilung in Quantico gewesen war und sie beratende Psychologin, hatte sie einen nie erlebten Schutzinstinkt gegenüber Maggie entwickelt. Sie hatte immer geglaubt, keine mütterlichen Regungen zu besitzen. Doch Maggie verteidigte sie wie die sprichwörtliche Bärenmutter ihr Junges.
Gwen schob ihre Speisekarte beiseite, bereit, Psychologin, Freundin und Mutter zu spielen. Sie hatte nicht gelernt, diese Rollen zu trennen. Na und wenn schon. Maggie konnte jemanden gebrauchen, der auf sie aufpasste, auch wenn sie das nicht gerne hörte.
„Was hat dich in die Stadt geführt? Arbeit im Hauptquartier?“
Da Maggie in Quantico in der Abteilung für wissenschaftliche Verhaltensstudien arbeitete, kam sie nur selten zum FBI-Hauptquartier an der Neunten Straße, Ecke Pennsylvania Avenue.
Maggie nickte. „Ich komme gerade von einem Besuch bei Keith Ganza. Davor war ich draußen in Arlington. Agent Delaney wurde heute beigesetzt.“
„O Maggie, das wusste ich nicht.“ Gwen beobachtete sie, und Maggie wich ihrem Blick aus, indem sie am Scotch nippte und die Stoffserviette auf dem Schoß zurechtlegte. „Alles okay mit dir?“
„Sicher.“
Das kam zu rasch und zu lässig, was für Maggie übersetzt bedeutete: Nein, natürlich nicht. Gwen wartete schweigend und hoffte auf weitere Erklärungen. Die blieben aus. Okay, dann musste sie weiter forschen und bohren. Kein Problem. Schließlich hatte sie ein Diplom im Forschen und Bohren. Obwohl auf ihrer offiziellen Urkunde Doktor der Psychologie stand. Was dasselbe war. „Am Telefon klang das so, als müsstest du mit jemandem reden.“
„Ja, ich arbeite gerade an einem Fall und könnte deine professionelle Einschätzung gebrauchen.“
Gwen sah ihr forschend in die Augen. So hatte sie sich vorhin am Telefon nicht ausgedrückt. Nun gut, wenn sie lieber auf Umwegen zur Sache kommen wollte, sie konnte warten. „Worum geht’s?“
„Um die Belagerung der Hütte. Cunningham hätte gern ein psychologisches Profil dieser Jungen, damit wir sie einer Organisation zuordnen können. Denn die haben das bestimmt nicht aus eigenem Antrieb getan.“
„Klar. Ja, natürlich. Ich habe einiges darüber in der Washington Post gelesen.“
„Und die kriminelle Psyche halbwüchsiger Jungen ist ja dein neues Spezialgebiet“, sagte Maggie mit einem Lächeln, aus dem Gwen Stolz herauslas. „Warum legen sechs Jungen im Teenageralter ihre Waffen nieder, nehmen Zyanidkapseln und legen sich dann zum Sterben hin?“
„Ohne die Details zu kennen, wäre meine spontane Vermutung, das war nicht ihre Idee. Sie haben getan, was man ihnen befahl, sie sind der Anweisung einer Person gefolgt, die sie fürchten.“
„Die sie fürchten?“ wiederholte Maggie nachdenklich, beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf und legte das Kinn in die Hände. „Warum sagst du automatisch fürchten} Warum hast du nicht gesagt, sie handelten im Glauben an ihre Sache? Ist das nicht die am häufigsten gebrauchte Argumentation solcher Gruppen?“
Ein Kellner servierte Gwen den Chardonnay. Sie dankte ihm, legte die Hände um das Glas und ließ den Wein kreisen. „In dem Alter weiß man nicht unbedingt, was man glauben soll. Ansichten und Vorstellungen sind noch sehr leicht formbar und manipulierbar. Aber Jungen haben gewöhnlich eine natürliche Tendenz, sich zu wehren. Es gibt sogar einen physiologischen Grund dafür.“
Gwen trank einen Schluck Wein. Sie wollte nicht so klingen, als hielte sie Maggie eine Vorlesung über etwas, das sie längst wusste. Da Maggie jedoch interessiert schien, mehr zu hören, fuhr sie fort: „Das liegt nicht nur am höheren Testosteronspiegel. Jungen haben auch eine geringere Ausschüttung am Neurotransmitter Serotonin. Serotonin hemmt Aggression und Impulsivität. Das könnte erklären, warum mehr junge Männer Selbstmorde begehen als junge Frauen. Warum sie Alkoholiker werden oder blindwütig
Weitere Kostenlose Bücher