Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
mehr kommen würde, hatte er sich Maggie mit so beschützender Anhänglichkeit angeschlossen, als wolle er nur ja kein zweites Mal ein Frauchen verlieren.
Maggie überlegte, was Harvey wohl denken würde, wenn er verstünde, dass seine erste Besitzerin entführt worden war, weil sie sich flüchtig gekannt hatten? Seit damals fühlte sie sich schuldig an der Entführung. Das gehörte zu den Dingen, mit denen sie leben musste, die ihr Albträume bereiteten und in ihrer eigenen Schublade verstaut wurden.
Sie atmete gleichmäßig im Takt von Schritt und Pulsschlag, der ihr in den Ohren pochte. Beim Laufen wurde ihr Kopf frei. Für Minuten war sie einzig auf ihren Körper, den natürlichen Laufrhythmus und ihre Kraft konzentriert. Sie lief schneller, und als ihr die Beine schwer wurden, legte sie noch eins zu. Dann merkte sie plötzlich, dass Harvey eine Vorderpfote schonte, obwohl er nicht wagte, langsamer zu laufen. Maggie blieb stehen und erstaunte ihn mit einem versehentlichen Ruck an der Leine.
„Harvey.“ Sie atmete heftig, und er wartete aufmerksam mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. „Was ist mit deiner Pfote?“
Sie deutete darauf, und er duckte sich an den Boden, als erwarte er Schelte. Sie nahm die große Pfote vorsichtig in beide Hände, und ehe sie sie umdrehte, spürte sie bereits einen Stich. Tief zwischen den Ballen steckte ein Klumpen Kletten.
„Harvey.“ Es hatte nicht wie Schelte klingen sollen, doch er duckte sich in einer Demutsgeste noch mehr an den Boden.
Sie kraulte ihm die Ohren, damit er wusste, dass er nichts falsch gemacht hatte. Er hasste es, wenn man ihm diese Dinger entfernte, verkroch sich lieber und erduldete den Schmerz. Maggie hatte jedoch gelernt, es schnell und wirkungsvoll zu erledigen. Sie nahm den Klumpen mit den Fingernägeln und zupfte mit scharfem Ruck. Sofort belohnte Harvey ihre Hand mit dankbarem Lecken.
„Harvey, du musst mir mitteilen, wenn du dir solche Dinger einfängst. Ich dachte, wir wären übereingekommen, nie mehr Helden zu spielen.“
Er lauschte beim Lecken, ein Ohr höher aufgerichtet als das andere.
„Also, abgemacht?“
Er blickte sie an und bellte kurz. Dann sprang er auf, wackelte freudig mit dem Hinterteil und war bereit, weiterzulaufen.
„Ich denke, den Rest des Weges lassen wir es langsamer angehen.“ Dass sie es ein wenig übertrieben hatte, wusste sie spätestens, als sie beim Aufstehen einen drohenden Krampf in der Wade spürte. Ja, den Rest würden sie gehen, obwohl der Wind ihren schweißnassen Körper auskühlte und sie zu frösteln begann.
Ein großer orangeroter Mond lugte hinter einer Reihe Pinien auf dem Hügelkamm hervor, der Maggies neues Viertel vom Rest der Welt trennte. Die Häuser lagen weit von der Straße zurück mit parkähnlich angelegten Grundstücken, dass man den Nachbarn nicht sah. Maggie liebte die Abgeschiedenheit hier. Doch ohne Straßenbeleuchtung brach die Dunkelheit schnell herein. Es machte ihr immer noch ein wenig Angst, nach Einbruch der Dunkelheit zu joggen. Es gab zu viele Albert Stuckys auf der Welt. Und obwohl er tot war - sie hatte ihn selbst in Notwehr erschossen -, steckte sie zum Laufen manchmal noch ihre Smith & Wesson in den Taillenbund.
Ehe sie ihre lange, halbrunde Einfahrt erreichte, bemerkte sie das Aufblitzen einer Windschutzscheibe. Sie erkannte den vor dem Haus geparkten schnittigen weißen Mercedes und wäre am liebsten umgekehrt. Wenn Greg sie nicht gesehen hätte, hätte sie es vielleicht auch getan. Doch er winkte von der Veranda und lehnte sich gegen das Geländer, als gehörte ihm das Haus.
„Ist schon ein bisschen spät, um noch zu laufen, oder?“ Wie immer klang seine Begrüßung eher wie ein Schelten, und sie zuckte instinktiv zusammen wie Harvey vorhin. Die Reaktion war symptomatisch für ihre gesamte Beziehung, die sich letztlich auf instinktive Überlebenstaktiken reduziert hatte. Und Greg wunderte sich immer noch, warum sie die Scheidung wollte.
„Was brauchst du, Greg?“
Er sah aus, wie den Seiten eines Modemagazins entsprungen - schwarzer Anzug mit scharfer Bügelfalte in der Hose, was sie sogar im schwachen Mondlicht erkannte, und nicht ein Knitter im gesamten Stoff. Das goldene Haar gefestigt und gefönt, nicht eine Strähne fehl am Platz. Ja, ihr zukünftiger Exmann war attraktiv, keine Frage. Wahrscheinlich war er auf dem Heimweg vom Dinner mit Freunden oder Geschäftspartnern. Vielleicht hatte er auch eine Verabredung gehabt. Sogleich fragte sie sich, was sie
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