Magic Girls – Eine verratene Liebe
Elena schaute zur anderen Seite. Jolanda machte sich emsig Notizen und hatte schon eineganze Seite vollgekritzelt. Mona saß entspannt da, die Beine übereinandergeschlagen, und ihr Fuß in den fliederfarbenen Pumps wippte leicht.
»Der Filter in Ihrem Gehirn wird natürlich von Ihren Gedanken beeinflusst«, sagte Johannes Bleich. »In gewisser Weise nehmen Sie wahr, was Sie wahrnehmen wollen. Wenn Sie schwanger sind, fällt Ihnen auf einmal auf, wie viele andere Frauen mit runden Bäuchen herumlaufen. Wenn Sie Angst vor Hunden haben, wird Ihnen bewusst, wie viele Leute täglich mit ihren bissigen Lieblingen Gassi gehen. Wenn Sie erwarten, dass Ihnen heute Ihr Traummann begegnet, schauen Sie jeden Mann, den Sie treffen, mit besonderer Aufmerksamkeit an. Wenn Sie an Ihr Horoskop glauben, werden Ihnen sämtliche Einzelheiten auffallen, die dazu passen. Das versteht man unter selbsterfüllender Prophezeiung.«
Eine Frau hinter Elena meldete sich. »Also gibt es dafür eine ganz natürliche Erklärung.«
»Genau«, bestätigte Bleich. »Es ist keine Magie im Spiel und kein Schicksal. Nur Ihr Gehirn. Das ist übrigens ein riesiger Zauberkasten – nur, damit Sie nicht enttäuscht sind.«
Wieder hatte er die Lacher auf seiner Seite.
»Und wie ist es mit magischen Ritualen?«, fragte die Frau hinter Elena. »Sind sie sinnlos und überflüssig? Oder bewirken sie vielleicht doch etwas?«
»In erster Linie bewirken sie erhöhte Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge«, antwortete Bleich. »Sie vollführen beispielsweise ein Ritual, um für Ihren Partner besonders attraktiv zu sein. Natürlich gehen Sie davon aus, dass es funktioniert. Sie sind also überzeugt, unwiderstehlich zu sein.Und siehe da – es funktioniert tatsächlich. Aber nicht, weil Sie einen magischen Firlefanz veranstaltet haben, sondern weil Sie sich in diesem Moment attraktiv fühlen. Und das strahlen Sie aus. Sie sind selbstbewusst, Ihre Augen leuchten und Ihr Körper sendet jede Menge Flirtsignale.« Er machte eine kleine Pause und lehnte sich zurück.
»Magischer Firlefanz«, schnaubte Mona empört.
»Möchte die Dame im lila Kleid etwas sagen?«, fragte Bleich und lächelte schief.
»Sie glauben also nicht an die Macht magischer Rituale?«, ließ sich Mona vernehmen.
»Oh doch. Sie funktionieren, das habe ich ja gerade erklärt«, sagte Bleich. »Aber daran ist nichts Übersinnliches.«
»Demnach glauben Sie nicht an eine unabhängige magische Kraft, die Dinge ins Positive oder Negative verändern kann?«, fragte Mona provozierend.
»Meiner Ansicht nach liegt die magische Kraft im menschlichen Gehirn.« Bleich lächelte noch mehr.
»Und wie ist es mit einem Fluch?«, fragte ein Mann in den hinteren Reihen.
»Der unterliegt dem Gesetz der selbsterfüllenden Prophezeiung – allerdings im negativen Sinn.« Bleich griff nach dem Wasserglas. »Man erwartet etwas Schlechtes. Ein Beispiel: Es ist Freitag der Dreizehnte, und Sie sind überzeugt, dass dieses Datum Unglück bringt. Wenn Sie sich die Schuhe anziehen, reißt der Schnürsenkel ab. Danach springt das Auto nicht an. Inzwischen sind Sie wegen dieser kleinen Alltagspannen schon so nervös, dass Sie erst recht Fehler machen. Sie bleiben mit dem Kotflügel an der Mülltonne hängen. Sie kommen zu spät an Ihren Arbeitsplatz und laufen prompt Ihrem Chef in die Arme … «
»Und wenn ich gar nichts von dem Fluch weiß?«, fragte die Frau hinter Elena wieder. »Wenn mir dauernd schlimme Sachen passieren, die ich gar nicht erwartet habe? Wenn ich eine Erklärung dafür will, weil ein Mensch so viel Pech auf einmal gar nicht haben kann? Wenn mich dann … jemand aufklärt und behauptet, es sei ein Fluch, und er sagt mir, was ich tun muss, damit es aufhört … Und wenn dann tatsächlich nichts mehr passiert? Wie deuten Sie das? Ist das auch wieder nur mein armes Gehirn?«
»Das scheint etwas komplizierter zu sein«, meinte Bleich und legte die Handflächen aneinander. »Aber auch hierfür gibt es eine Erklärung, ohne dass die Magie dafür herhalten muss.«
Seine Antwort löste Gemurmel im Raum aus. Viele Leute unterhielten sich angeregt mit ihren Nachbarn. Einige schienen Bleich zuzustimmen, andere hatten eine ganz andere Meinung.
Bleich griff nun zu seinem neuen Buch, räusperte sich und bat um Ruhe. Dann begann er, das erste Kapitel vorzulesen. Es erzählte von seiner Kindheit. Als kleiner Junge war Bleich fest davon überzeugt gewesen, dass bestimmte magische Rituale funktionieren.
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