Magical
verriegelte sie. Währenddessen gellten die Schreie der Hexe durch den stillen Wald. Schwarzer Rauch quoll rechts und links der Tür aus dem Ofen.
Lange Zeit stand ich da und spürte die Hitze in meinem Rücken, bis die Schreie der Hexe leiser wurden und ich wusste, dass sie tot war. Als ich meine Augen berührte, stellte ich fest, dass ich weinte. Im nächsten Moment wurde ich von Schluchzern geschüttelt. Weder Charlie noch ich sagten ein Wort. Endlich herrschte Ruhe, abgesehen vom Krächzen der Krähe über uns. Ich hob denBlick. Sie flog herab, setzte sich auf meine Schulter und sang:
Und als die Augen von mir sie wandte,
Oh, wie mein Herz da brannte.
Fa la la la la la la la la!
Ich zitterte, aber ich strich ihr über den Kopf. »Ja. Ja. Du bist ein guter Vogel.«
Mir fiel die Krähe wieder ein, die an dem Tag, als ich Charlie gerettet hatte, bei Lucinda gewesen war. Wahrscheinlich war das nur ein Zufall.
Ich wandte mich an Charlie. »Warum bist du nicht weggelaufen?«
Er deutete auf seinen Mund und ich merkte, dass er immer noch nicht sprechen konnte. Schnell hob ich den Bann auf. Er sagte: »Wenn ich weggelaufen wäre, hätte die Hexe dich verbrannt.«
»Stimmt nicht. Ich war diejenige, die sie dazu überredet hat, das Feuer anzuzünden.«
»Aber ich war derjenige, der sie in den Ofen gestoßen hat.«
Ich seufzte. »Ja, schon. Aber Charlie, wenn ich dir je wieder sage, dass du weglaufen sollst, dann musst du auch weglaufen.« Mir war es todernst damit, denn ich hatte eine Vorahnung gehabt, als ich an der Ofentür gelehnt hatte. Eine Vorahnung der Schwierigkeiten, die einer Hexe wie mir bevorstehen würden. »Versprich es mir, Charlie.«
»Ich werde dich beschützen.«
»Nein, zuerst wirst du dich selbst beschützen. Versprich es mir.«
Schließlich willigte er widerstrebend ein.
Weil wir sonst nirgendwohin gehen konnten, trotteten wir zum Haus der Hexe zurück. Als wir dort ankamen, stand die Sonne hoch am Himmel, daher konnten wir die Veränderung, zu der es dort gekommen war, umso besser sehen.
»Wo ist der Lattenzaun?«, fragte Charlie.
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, weil ich jetzt vollkommen sicher war, dass die Hexe endgültig tot war. »Die Kinder, sie sind frei. Sie sind frei!«
»Mädchen?« Eine zarte Stimme ertönte hinter dem Haus.
Ich kannte diese Stimme. »Miranda?« Ich rannte zu ihr. Sie war ein süßes, kleines Ding, mit rötlichgoldenen Ringellocken und Sommersprossen.
»Du … du hast sie getötet?«
»Charlie und ich zusammen. Jetzt kannst du zu deiner Mutter nach Hause zurückkehren.«
»Alle anderen sind schon gegangen, aber ich bin noch geblieben, um dir zu danken.«
Ich umarmte sie. »Wirst du in Sicherheit sein?«
»Ich glaube schon.«
»Dann solltest du gehen.« Ich brach ein Stück Lebkuchen von der Fensterbank ab. »Hier. Für unterwegs.«
Und dann ging sie.
Charlie und ich hatten keinen Ort, an den wir zurückkehren konnten, deshalb betraten wir das Lebkuchenhaus. Wir waren frei! Wir waren am Leben. Das Haus stand auf gutem, bebaubarem Land und ich wusste, dass wir unsere unglückselige Vergangenheit hinter uns lassen, ein richtiges Haus bauen und viele Jahre glücklich dort leben würden.
Epilog
Oder zumindest ein paar Tage. Denn wisst ihr, eines der entkommenen Kinder rannte direkt ins nächste Dorf und erzählte allen die Geschichte von dem Lebkuchenhaus und der Hexe, die dort wohnte. Natürlich wollte der diensthabende Wachtmeister eine solch wilde Geschichte nicht glauben … bis sie von einem zweiten, einem dritten, einem zehnten Kind bestätigt wurde. Vielleicht hat die kleine Miranda versucht, ihnen zu erklären, was wirklich passiert war, aber ihre Stimme war zu leise und kam zu spät.
Ein ganzes Rudel von ihnen rückte an, und sie hatten Stricke dabei. Ich wusste, es würde keinen Prozess geben, schon gar keinen fairen. Ich dankte dem Schicksal, dass sie keine Fackeln mitgebracht hatten.
»Lauf!«, sagte ich zu Charlie. »Schau nicht zurück und wenn dich jemand fragt, dann sag, dass du gerade einer bösen Hexe entronnen bist, die Lebkuchen aus dir backen wollte. Sag nichts von deiner Schwester. Sie werden dir nicht glauben. Oder sie werden dich ebenfalls für einen Hexer halten.«
Dieses Mal hörte er auf mich. Das glaubte ich wenigstens, denn er rannte davon. Ein paar Augenblicke später kamen sie.
Sie henkten mich. Es tat weh, aber ich starb nicht daran. Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, spürte ich, wie eine
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