Magical
Krähe an dem Seil um meinen Hals pickte und pickte.
Und so kam es, dass ich England verließ. Es stellte sich heraus, dass der Vogel meine Freundin Lucinda war. Sie riet mir zu reisen. Das tat ich, zuerst nach Schottland (wo ich den Hexen begegnete, die Shakespeares »Macbeth« inspirierten), später nach Spanien und Italien, Griechenland und schließlich Frankreich, wo ich viele Jahre lebte. Lucinda zeigte mir, wie ich mich ebenfalls in einen Vogel verwandeln konnte, um allen Schwierigkeiten zu entfliehen – eine äußerst nützliche Fähigkeit.
Charlie sah ich nie wieder.
Das ist so eine Sache bei Hexen.
Wir sind oft einsam.
Um meine Einsamkeit zu lindern und um den Schwur zu halten, den ich im Lebkuchenhaus ausgesprochen hatte, machte ich es zu meiner Lebensaufgabe, anderen zu helfen. Es gibt viele Menschen, die ihre besonderen Talente im Lesen, Backen oder Briefumschlägefüllen einsetzen, um anderen beizustehen. Bei mir ist es eben meine Begabung für Hexerei, die zum Einsatz kommt. Wie ihr vielleicht an der Geschichte von den Lebkuchenkindern gemerkt habt, läuft nicht immer alles so glatt wie ich es gern hätte.Offen gesagt, habe ich mehr Fehlschläge als Erfolge zu verzeichnen. Im Laufe der Jahre wurde ich aus mehr Ländern verbannt, als die meisten Leute je zu Gesicht bekommen. Deshalb habe ich gelernt, mir meine Opfer – ähm, Menschen, denen ich helfe – sorgfältig auszusuchen.
Es ist schwer für mich, Freunde zu finden. Ich muss sagen, es überrascht mich, dass mich die Leute normalerweise nicht mögen, und die, die mich mögen, neigen dazu, alt zu werden und zu sterben. Ich habe viele Jahre keine richtigen Freunde mehr gehabt.
Ich kann mein Aussehen nach Belieben verändern. Ich habe Magie eingesetzt so wie andere Leute Botox, um jung und hübsch zu bleiben, und ich habe herausgefunden, dass es am einfachsten ist, so lange wie möglich zur Schule zu gehen. Ich brauche die Schule natürlich nicht. Alles, was ich zum Leben brauche, kann ich aus dem Nichts herbeizaubern, und nach all den Jahren ist der Lehrplan auch ein wenig eintönig für mich geworden (oder wer kann sich schon vorstellen, Algebra II mehr als ein Mal zu belegen?). Besonders gilt das für Geschichte, denn ich habe sie selbst erlebt. Es ärgert mich, wie viel Falsches in den Büchern steht, und Shakespeare zu lesen ist langweilig, wenn man die Stücke auf den bedeutenden Bühnen Europas gesehen hat (auch wenn ich aus Gründen, die ich vielleicht später erklären werde, die große Sarah Bernhardt nicht sehen konnte, als ich in Frankreich war). Sogar die Menschen sind zum großen Teil langweilig. Die Ballkönigin der Schule, die sich selbst für einzigartig hält, wäre überrascht zu erfahren, dasssie nur eine von Millionen ist. Und Schulhofschläger gibt es ebenfalls in jeder Generation. Aber Teenager sind gute Kumpels. Sie sind so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, dass sie dazu neigen, mich kaum zu bemerken.
Und gelegentlich finde ich, wenn auch keinen Freund, so doch eine verdienstvolle (oder weniger verdienstvolle) Seele, die meiner magischen Hilfe bedarf. Oder Besserung nötig hat.
So wie jetzt. Da ist dieses Mädchen namens Emma. Emma lebt in Miami und ich habe schon seit geraumer Zeit ein Auge auf sie. Sie hatte da ein paar Probleme mit einem Familienmitglied, ihrer Stiefschwester. Ich würde ihr gern helfen, aber zuerst muss ich entscheiden, ob sie das Risiko wert ist. Ihre Geschichte? Hier ist sie.
M eine Mutter erinnerte mich auf ihre liebenswürdige Art stets daran, dass Daddy nicht mein echter Vater war. »Zeig dich von deiner besten Seite, Emma«, hatte sie immer gesagt, seit ich alt genug war, um mich daran zu erinnern. »Er könnte uns jederzeit sitzen lassen.« Das war ja sooo beruhigend. Ich habe keine Ahnung, warum sie solche Dinge sagte. Vielleicht war sie eifersüchtig. Okay, Daddy und ich sahen uns überhaupt nicht ähnlich. Er war groß, schlank und blond und hatte haselnussbraune Augen, während ich klein und linkisch war, mit krausem mausfarbenem Haar. Und doch, an Tagen wie diesem, als wir uns in Swenson’s Ice Cream gegenübersaßen, schien es unmöglich, dass ich nicht seine Tochter und er nicht mein Daddy sein sollte. Jedenfalls lebten wir zusammen, seit ich drei Jahre alt war, seit dem Tag vor zehn Jahren, als er und Mutter geheiratet hatten. Falls ich je einen anderen Vater gekannt hatte (den Vater, der uns tatsächlich hatte sitzen lassen), erinnerte ich mich nicht an ihn. Das
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