Magie der Schatten 1 - Barshim und Cashi
lernen. Sie nahm es sich immer wieder vor. Für den folgenden Tag, aus dem Wochen wurden. Bücher waren geduldige Gefährten und sie straften auch niemanden, wenn man sie geschlossen ließ. Sie sagten auch niemandem, wenn man behauptete, sie schon gelesen zu haben und das Licht einer Kerze oder der Sonne schon lange nicht mehr die Seiten beleuchtete. Still lagen sie da. Schweigend.
*
Tamin stand auf den Klippen, trug den blau-schwarzen Mantel des Kreises Natriells und beobachte Cashimaé, die im Schneidersitz auf dem Boden saß, die Hände auf den Knien abgelegt, während die Nacht schon über dem Land lag. Ihre Gedanken waren nicht bei der Aufgabe, die sie heute an ihrem 17. Geburtstag lösen sollte. Sie lautete: Verbinde dich mit den Linien des Wassers, um ein Teil von ihnen zu sein!
Zwischendurch folgte Tamin ihren Energieströmen, um herauszufinden, was sie genau tat. Bei einer dieser Berührungen erfasste er ihren Geist.
- Denkst du, ich schaffe es nicht alleine? - hallte ihre warme Stimme klar und deutlich durch seinen Kopf.
- Ich schaue nur, ob du den richtigen Linien folgst, manch einer hat sich auf dem Weg verirrt -
- Verschwinde Tamin, du störst! -
Er zog sich verärgert zurück. Die letzte Zeit begann ihr Ton, rauer zu werden und verlor immer mehr Achtung, mit der ihm dieses Kind früher begegnet war. Tamin entspannte sich etwas und betrachtete ihre Silhouette, deren Konturen sich vor dem aufsteigenden vollen Mond abzeichneten. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie schön die Magierin war. Das silbrige Licht verdeutlichte dies umso mehr. Die Menschen nannten solche Wesen Götter und genau so kam sie ihm gerade vor.
Sie war erwachsen geworden, von großer schlanker Gestalt. Ihre Bewegungen zeugten von Anmut. Das lange seidenweiche braune Haar. Ihre Augen mit den Farben der Elemente erzählten Geschichten und ihre vollen, sinnlichen Lippen…
Tamin schüttelte augenblicklich den Kopf. Wie konnte er ausgerechnet jetzt daran denken? Jetzt, wo es darum ging, sie auf die Prüfungen in Comoérta vorzubereiten? Der Magier unterdrückte ein Gähnen, als ihm etwas auffiel. Es war still geworden, zu still.
Er schaute sich um, doch nirgendwo bewegte sich ein Blatt oder ein Grashalm. Sein Blick glitt hinunter aufs Meer. Tamin öffnete den Mund, ohne das ein Wort heraus kam. Wie ein schwarzer Spiegel, auf dem der Mond glänzte, lag es vor ihm. Nichts bewegte sich, keine Welle, kein Kräuseln, kein Rauschen, wenn das Wasser gegen die Klippen schlug.
»Cashimaé, bist du das?«, flüsterte er erschrocken. Er sandte seine Gedanken hinaus, suchte die Ströme des Meeres und fand nichts als Schweigen.
*
Erst hatte sich Cashimaé beklommen gefühlt, doch als sie sich zur Ordnung rief, fühlte sie nur noch tiefe unendliche Ruhe und Frieden. Ihr kam es vor, als befände sie sich in einem Vakuum, das sie umschloss und in sich aufnahm. Keine schnellen Bewegungen waren möglich und alles lag still und friedlich um sie herum.
Es war ein wunderschönes Gefühl, sodass sie sich ohne nachzudenken treiben ließ. Stimmen wisperten kaum verständlich, wie feine Glöckchen, mal nah und mal fern. Fühlte es sich so an, wenn man von den Beeren des Gartán-Strauches aß und deren Wirkung einen in seinen Bann zog und das Bewusstsein erweiterte?
Cashimaé fühlte sich zufrieden und geborgen wie ein kleines Kind. Als die Stimmen intensiver wurden, legte sie lächelnd einen Finger an die Lippen und Stille kehrte überall ein. Abwartend richtete sich alle Aufmerksamkeit an diesem Ort auf sie. Das Wasser schwieg, während es um sie herum in einem sanften Grün schillerte. Zwischen einzelnen Lichtreflexen konnte man schemenhaft Gesichter erkennen. Grünbläulich, mit wundervollen großen Augen.
Cashimaé öffnete ihren Geist, spürte neue Energien. Eine zärtliche Stimme, dem sanften Plätschern eines Bergbaches gleich, drang in sie ein, vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken.
- Bringst du die Wasser zum Schweigen? Erzähle uns uralte Geschichten…
-
Cashimaé kicherte wie ein kleines Kind. Sie sollte Geschichten erzählen? Wo diese Wesen doch so viel älter waren. Mit diesen Augen, schwarz wie der Sternenhimmel. So schön. Ihre Finger spielten in den Strömen, glitten darüber hinweg und durch sie hindurch. Cashimaé wollte tanzen und wirbelte die Energien mit der Leichtigkeit der Unschuld durcheinander.
*
Tamin versuchte verzweifelt, Cashimaés Geist zu finden, doch sie war viel zu weit fort. Das konnte alles nicht wahr
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