Magie der Schatten: Roman (German Edition)
Gänze riss der Kristall ihren Körper an sich, bis sie regungslos in dem durchsichtigen Material schwebte.
Nairod presste sich gegen die Ader. Er schlug mit den Fäusten dagegen, bis seine Knöchel bluteten. Er schrie, aber Lenia hörte ihn nicht mehr, sondern sank immer tiefer in den Kristall hinein, bis sie schließlich anhielt, nur wenige Meter von ihm entfernt, aber doch unerreichbar.
Keuchend vor Erschöpfung und mit tränennassem Gesicht sackte er zusammen. Er war beinahe auf einer Höhe mit Sax, der vor ihm stand.
»Du hast es gewusst«, sagte er. Schleim und Tränen verzerrten seine Stimme.
»Sie hat dir das erspart, was dir zugestoßen wäre, wenn du die Macht der Ader angezapft hättest.« Der Erl watschelte auf seinen kleinen, nackten Füßen zu den Blättern hinüber. »So konnte ich dieses lästige Mädchen endlich loswerden.«
»Nein. Das kann nicht sein.« Nairod kratzte mit den Fingernägeln über den Kristall. Einer brach, aber er spürte es nicht. »Du wolltest sie nur forthaben, die ganze Zeit. Sie wollte das Buch nicht stehlen. Vor Wochen, da im Schnee, meine ich. Sie wollte es vielleicht in Sicherheit bringen, weil sie die Riesenschlange gesehen hat.«
»Ja und nein. Sie wollte das Buch wirklich nicht stehlen, nur in Sicherheit bringen. Aber nicht, weil sie die Schlange gesehen hatte, sondern weil ich es ihr aufgetragen habe.«
»Was?« Nairod wollte hochfahren, aber seine Kraft reichte nur, um sich langsam am Stein der Wand hochzuziehen. »Aber du hast doch –« Er hielt inne. »O nein.«
»Nairod, das muss dich jetzt nicht mehr kümmern.« Der Erl lächelte durch seine Haarkleider hindurch. »Du hast den Zauber vollendet. Du wirst nicht mehr altern, und dein Körper wird vergessen, was der Tod ist. Es ist das, was du wolltest.«
Er atmete tief durch. »Die Magie wirkt? Zumindest hierbei hast du mich nicht betrogen?«
»Sie wirkt ganz vorzüglich, sei dessen versichert.«
»Was ist dein Wort schon wert?« Er langte hinüber zu seinem Rucksack. Seine Hände fanden das in Stoff gewickelte Buch, und er zog es heraus.
»Es gibt niemanden auf der Welt, der dir darüber besser Auskunft geben könnte als ich.« Noch immer dieses Lächeln.
» Du ? Ausgerechnet. Wieso? Das klingt, als hättest du den Glasknochenmann gekannt.«
Der Erl kicherte. Erst jetzt erkannte Nairod, was für einen Missklang seine Stimme immer mit sich trug.
»Hast du dich nie gefragt, woher ich, nun ja, Dinge weiß?«
»Weil du von ihnen gehört oder gelesen hast, vermutlich, wie es bei den meisten Leuten ist …«
»Der Weg durch Arimans Irrgarten. Die Schattenmacht. Der Aufenthaltsort des Drachen.«
Nairod stutzte. Nein, das hatte er sich wirklich nicht gefragt. All das war ihm wie ein Wink des Himmels erschienen. Eine Gnade, die ihm durch die Anmaßung, sie zu hinterfragen, wieder hätte genommen werden können.
Sax sprach weiter. »Es hat mich überrascht, wie fraglos du das alles hingenommen hast. Aber du warst ja so überzeugt von deiner Reise und deinem Ziel.«
»Und? Was willst du mir damit sagen?«
»Hättest du einmal nachgedacht, wärst du vielleicht darauf gekommen, wer ich bin. Wer der Glasknochenmann ist.«
»Du?« Nairod lachte hilflos. »Das ist völlig un–« Er hielt inne. War es das wirklich?
»Ich bin den gleichen Weg gegangen wie du. Genau den gleichen.«
»Unsinn. Der Glasknochenmann ist klein und gebrechlich gewesen, aber kein Erl.«
»Ja, es stimmt, er war ein Mensch. Aber wie deine Freundin dir ganz richtig erklärt hat, werden Menschen zu Erlen, wenn sie … na, wenn sie …?«
»Wenn sie Kristalle missbrauchen.«
»Ja!« Sax hüpfte auf und ab in einem grotesken Tanz. »Der Glasknochenmann benutzte sie in Hülle und Fülle, weil seine Magie genauso verfiel wie sein Körper. Er ge brauchte sie, miss brauchte sie. O ja, das weißt du aus dem Buch. Aber du weißt nicht alles. Es gibt eine Fortsetzung, die er nicht in Eikyuuno niedergeschrieben hat. Es war zu schmählich. Sein Körper begann zusammenzuschrumpfen, seine Kraft und seine Magie schwanden.«
»Er wurde ein Erl«, murmelte Nairod.
»Ja. Seine Zeit lief ab, seine Knochen wurden schwächer und schwächer. Bald würde er von seinem eigenen Körpergewicht zerbrechen wie ein Kristall in der Hand eines Zauberers. Aber bevor es mit ihm so enden konnte, entdeckte er diesen Ort – und den Drachen mit ihm. Das Unmögliche wurde möglich, und er konnte die Formel benutzen, an der er sein halbes Leben lang gewirkt hatte. Er
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