Magie der Schatten: Roman (German Edition)
sein kleines Herz verbarg sich tief in seinem Innern.
Wieso er mit dem grauhaarigen Riesen gesprochen hatte, wusste er selbst nicht mehr. Der Mann war ruhig gewesen und konnte oder wollte bei den derben Scherzen seiner Begleiter nicht mitlachen. Manchmal schien es so, als reise auch er nicht freiwillig mit. Ihr Gespräch hatte er schnell vergessen, als er von dem Alten mit den wahrsagenden Steinen danach gefragt wurde. Wahrscheinlich hatte der Große ihn, Prinz und Geisel zugleich, auf seine Seite ziehen wollen, indem er so tat, als gäbe es zwischen ihnen Geheimnisse, in welche die anderen grausamen Söldner nicht eingeweiht wurden. Der Große wollte gewiss nur sein Vertrauen erringen, damit er die Kiste für ihn öffnete.
Aber das würde er nicht. Neben seinem Verstand war die Kiste das letzte Stück von sich, an das die Söldner nicht herangekommen waren. Er verbarg sich, schwieg und ließ die Beschimpfungen und Geißelungen über sich ergehen. Einförmig setzte sich das Tag für Tag fort.
Aber an diesem Abend war die Hölle losgebrochen. Alle Männer waren nach draußen gerannt. Er hatte die Gelegenheit sofort zu nutzen versucht und die Fesseln am Schärfsten gerieben, das er finden konnte. Und das war nur eine stumpfe Schaufel gewesen. Bevor er irgendetwas erreicht hatte, kehrten die Männer zurück, der Riese mit einem Verband um eine Hand. Er stritt sich mit dem anderen, der so lang und dünn war wie die zahllosen Messer, die er am Körper trug. Die anderen Mörder umstanden sie. Und keiner von ihnen merkte, wie völlig lächerlich ihr Kriegsrat im Kuhstall erschien, umgeben von den wiederkäuenden Tieren.
Was draußen mit der Hand des Großen geschehen war, erfuhr er nicht. Natürlich fragte er auch nicht. Aber jetzt erinnerte ihn der Mann an Kyklon, einen einarmigen und einäugigen Giganten, gegen den Ritter Marduk einmal hatte kämpfen müssen. Dieser Mann hier hatte zwar noch beide Augen, aber dafür fehlte ihm, ja, ein Teil seines Kopfes. So sah es zumindest von der Seite aus.
Die endlosen Reisetage setzten sich fort. Er versank in Schmutz und erfuhr weder, was in der Nacht geschehen war, noch, wohin sie gingen. In Kyklons Nähe machte er sich nicht mehr so klein wie zuvor. Neben ihm erschien ohnehin jeder klein.
Er machte die Beobachtung, dass die Vorräte langsam dahinschmolzen und die Pferde immer leichter zu tragen hatten, die Männer aber stetig müder und unleidlicher wurden. Er hörte Satzfetzen wie »fast geschafft«, »bald da« und »können uns nicht leisten …«.
Sie mussten schon zwei Tage ohne Vorräte auskommen. Dabei lag um sie herum die reiche Gegend der Sommerfelder. Hier, am westlichen Rand des Reichs, blieb der Sommer am längsten, und auch danach noch hatten die Bauern üppig gedeckte Tafeln. Es war demütigend, sich die Familien schmausend und lachend vorzustellen, während sie hier darbten.
Gegen Mittag befahl der Messermann – diesen Namen hatte er unter seinen Entführern aufgeschnappt, und er passte haargenau –, dass einige von ihnen losreiten und Vorräte besorgen sollten. Als die Namen der Beauftragten fielen, war auch Raigar darunter, und da das Kyklons wirklicher Name war, musste auch er mit, Elarides de Mesko. Ein Name, den hier niemand kannte, weil Kyklon ihn für sich behalten hatte.
So saß er, das erste Mal seit Tagen ohne Fesseln, hinter dem Riesen auf einem Pferd. Die Tiere würden sie für den Transport brauchen, deswegen durften sie sie auf dem Hinweg zum Reiten benutzen.
Links und rechts von ihnen erstrahlten abgeerntete Stoppelfelder in der Mittagssonne. Ein schmaler Weg führte zu einer Ansammlung von Gebäuden in der Ferne.
Kyklon drehte sich zu ihm um. »Ich erklär dir, was los ist.«
Elarides antwortete nicht. Er sah hinter sich zu den vier anderen Reitern, die sich zwei Pferde teilten. Weit genug weg.
»Du fragst dich vielleicht, wieso ich einen Verband um die Hand trage.« Kyklon schaute halb nach hinten. »Vielleicht tust du das auch nicht. Ich musste einem Flammenbeller das Genick brechen. Der Ewige, so er denn noch irgendeine Macht hat, wird als Einziger wissen, wie mir das gelungen ist. Der Hund hat uns verfolgt, einen Mann getötet, und er hat mir zum Glück nicht die Hand gebrochen, sondern nur Muskelstränge angerissen. Es ist klar, dass er nicht allein gewesen ist, denn Flammenbeller sind niemals allein. Sie können in der Wildnis nicht einmal allein überleben.« Der Riese sprach langsam, bedächtig und machte Pausen, als sei er es
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