Magie der Sehnsucht - Roman
ersten Mal, seit sie ihn kannte, bewegte er sich nicht geschmeidig, sondern seltsam ungelenk. Er erweckte den Eindruck, die Luft würde ihm wegbleiben und ein schrecklicher Schmerz seine Brust erfüllen. Krampfhaft umklammerte er einen Bettpfosten, so dass sich die Fingerknöchel weiß unter der gebräunten Haut abzeichneten.
Wie gern würde sie ihn trösten und ihn retten, sie
wollte … Ja, sie wollte – ihn. So einfach war das, und ihr Atem stockte, als ihr die Wahrheit bewusst wurde.
Sie liebte ihn.
Mit der ganzen Kraft ihres Herzens.
Wie sollte sie ihn nicht lieben?
Ihr Blick wanderte wieder über die Bücher, Erinnerungen stürmten auf sie ein. An Julian, der ihr am Abend seiner Ankunft erotische Freuden angeboten hatte – Julian beim betörenden Liebesspiel unter der Dusche – Julian, der sie tröstete und zum Lachen brachte, der durch die Falltür der Liftkabine herabsprang, um sie zu beschützen, der neben einer Rose auf dem Bett lag und wartete, bis sie seine Geschenke finden würde …
Oh ja, Selena hatte Recht, er war genau der Richtige für sie. Niemals würde sie ihn gehen lassen.
Das musste sie ihm sagen. Es lag ihr auf der Zunge. Doch sie besann sich eines Besseren. Nicht jetzt, wo er offensichtlich höllische Qualen erlitt und verwundbar war.
Andererseits – er wollte es sicher wissen.
Oder?
Grace überlegte, wie sich ihr Geständnis auswirken würde. In diesem Zeitalter fühlte er sich nicht wohl. Das hatte sie oft genug bemerkt. Er würde lieber in seine Heimat zurückkehren.
Wenn sie ihm erklärte, was sie für ihn empfand, würde er nur deshalb hierbleiben. Nicht aus eigenem Antrieb. Und vielleicht würde er ihr eines Tages verübeln, dass sie ihn von seiner vertrauten Welt fernhielt, von allem, was er einmal gewesen war.
Und wenn sie sich nicht mehr verstanden?
Als Psychologin kannte sie die Probleme, die in einer Beziehung zwischen ungleichen Partnern auftauchen und die Liebe letzten Endes zerstören konnten.
Zu den häufigsten Ursachen einer Trennung zählte die fehlende gemeinsame Basis zweier Menschen, die nur aus erotischen Gründen zueinander gefunden hatten.
Und wir sind völlig verschieden, Julian und ich – eine Therapeutin im einundzwanzigsten und ein makedonischer General, der aus dem zweiten Jahrhundert vor Christi stammt. Würden ein Fisch und ein Vogel einen Ort finden, wo sie gemeinsam leben konnten? Nie zuvor waren zwei so grundverschiedene Menschen zusammengeführt worden, von einem seltsamen Schicksal gezwungen.
Vorerst schwelgten sie noch in ihrem Glück, weil es ihnen so neu und faszinierend erschien. Aber was verband sie, abgesehen von der körperlichen Anziehungskraft? Wenn sie sich in einem Jahr nicht mehr liebten …
Und wenn Julian sich veränderte, sobald er nicht mehr unter dem Einfluss des Fluches stand?
Er hatte ihr erzählt, in Makedonien sei er ein anderer Mann gewesen. Fand er sie nur wegen des Fluches so reizvoll? Hatte Eros nicht verkündet, Priapos’ Verwünschung habe Julian zu ihr getrieben?
Wenn der Fluch keine Rolle mehr spielte – würde er sie immer noch begehren?
Sollte er die Chance zur Heimkehr nicht nutzen, würde er wohl kaum eine zweite erhalten.
Sie konnte ihm nicht einmal vorschlagen: Warten wir ab, was geschehen wird. Denn er würde eine unwiderrufliche Entscheidung treffen.
Wäre sie doch fähig, in die Zukunft zu blicken, so wie Selena … Aber auch ihre Freundin irrte sich manchmal. Und um Julians willen durfte sich Grace keinen Irrtum erlauben. Nein, für ihn gab es nur einen einzigen akzeptablen Grund, hierzubleiben – er musste sie genauso lieben wie sie ihn.
Aber das war so unwahrscheinlich wie der Einsturz des Himmels in den nächsten zehn Minuten.
Mit geschlossenen Augen versuchte sie, sich mit den Tatsachen abzufinden. Niemals würde er zu ihr gehören, sie musste ihn einfach gehen lassen. Und das würde sie umbringen.
Mit einem schwachen Lächeln wandte er sich zu ihr. »Es tut so weh.«
»Ja, das weiß ich.« Sie ging zu ihm, wollte ihn berühren. Doch er wich zurück, als wäre sie eine gefährliche Schlange, und ihre Hand sank hinab. »Jetzt werde ich mich ums Dinner kümmern.«
Sie verließ das Zimmer, und er schaute ihr nach, wollte ihr folgen, vermochte seine Sehnsucht kaum zu zügeln. Aber er wagte es nicht, denn er brauchte noch eine Weile, um sich zu fassen und das Feuer in seiner Brust zu löschen, das ihn zu verzehren drohte.
Verwundert schüttelte er den Kopf. Wieso konnte Graces Nähe
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