Magie und Schicksal - 2
anzuschleichen.«
Er zuckt mit den Schultern. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Und übrigens hast du meine Frage noch nicht beantwortet. Hast du Geheimnisse vor mir?«
Ich lache leise, und doch dringt meine Stimme fast ungebührlich laut in die tiefe Nacht. »Ich habe keine Geheimnisse vor dir. Ich habe nur über die Grabanlage nachgedacht und mich gefragt, ob der Stein wirklich dort ist.«
Er seufzt. »Nun, das werden wir erst wissen, wenn wir vor Ort sind und uns die Sache selbst angeschaut haben, aber Victors Hinweis ist das Einzige, was wir im Moment haben.«
»Loughcrew«, murmele ich und schicke das Wort in die Dunkelheit wie ein Gebet. »Tor zu den Anderswelten.«
»Ja.« Dimitris Stimme ist leise, und ich höre die Hoffnung, die in ihr schwingt.
Victors systematische Nachforschungen haben ans Tageslicht gefördert, was Dimitri und ich in wochenlangem ziellosem Herumstochern nicht geschafft hatten: Mithilfe der Liste möglicher Verstecke hat Victor entdeckt, dass Loughcrew früher das »Tor zu den Anderswelten« genannt wurde. Wir können nicht sicher sein, dass es sich um unsere Anderswelten handelt oder vielleicht nur um eine abstrakte, mythische Vorstellung, aber der Hinweis ist zu gut, um unbeachtet zu bleiben.
Aber wie sooft habe ich Zweifel. Ich scheue mich davor, meine Angst laut auszusprechen. Es kommt mir so vor, als ob ich meinen Befürchtungen erst dann eine Berechtigung einräume. Aber das ist Unsinn. Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen, auch wenn sie uns nicht gefällt.
»Was machen wir, wenn es doch nicht der richtige Ort ist?«, frage ich.
Er schweigt einen Moment lang, und ich weiß, dass er nach einer Antwort sucht, die zumindest noch einen Hoffnungsfunken am Leben erhält.
Am Ende obsiegt die Ehrlichkeit. »Ich weiß es nicht.
Aber wir sollten uns mit dieser Frage erst dann beschäftigen, wenn es so weit ist. Eins allerdings ist sicher.«
Ich schaue ihn an. »Und was ist das?«
»Jeder Schritt, den wir bislang gemacht haben, hatte einen Sinn. Auch jene, die uns scheinbar in die Irre geführt haben.« Er richtet seine Worte an die Flammen im Feuer. »Egal, ob wir den Stein in Loughcrew finden oder nicht, wir werden auf unserem Weg, die Prophezeiung zu beenden, einen Schritt weiter kommen.«
Im Lager ist es still, als ich mich in die Decken wickele. Dimitris Schatten, verzerrt von der Zeltplane und dem flackernden Feuerlicht, ist mir ein Trost, obwohl ich ihn lieber an meiner Seite hätte. Wir haben eine Zeit lang darüber diskutiert. Dimitri bestand darauf, in der Nacht Wache zu halten, während ich erklärte, dass er die Reise unmöglich ohne Schlaf überstehen könne. Wir einigten uns auf einen Kompromiss. Dimitri wird nachts Wache stehen und dann im ersten Morgengrauen eine Weile schlafen, ehe wir aufbrechen. Das bedeutet, dass wir morgens später losreiten können, aber selbst ein Mann wie Dimitri muss sich ausruhen.
Mein Körper ist steif von dem stundenlangen Sitzen im Sattel, und ich weiß, dass es noch einige Tage dauern wird, bis ich mich wieder an das ausgedehnte Reiten gewöhnt habe. Seit unserer Reise nach Altus sind mehrere Wochen vergangen, und obwohl ich gelegentlich in Whitney Grove ausgeritten bin, kann man diese leichten Ausflüge nicht
mit einem wochenlangen Ritt quer durchs Land vergleichen.
Ich taste nach dem Schlangenstein um meinen Hals, prüfe seine Temperatur. Es ist mir zur Gewohnheit geworden, die verbleibende Kraft des Steins abzuschätzen, eine Gewohnheit, die mich ängstigt und mir den Schlaf raubt. Ich umfasse ihn täglich, obwohl es immer schwieriger wird zu sagen, ob der Stein heute kälter ist, als er gestern war oder vorgestern. Er ist auf jeden Fall merklich abgekühlt, seit er auf Altus wie glühende Kohle auf meiner Brust gelegen hat. Aber die Veränderung von einem Tag zum anderen ist kaum spürbar. Und doch lasse ich nicht davon ab, ihn zu halten, als ob mich das ständige Bewusstsein seiner schwindenden Kraft auf den Moment vorbereiten könnte, in dem sie gänzlich aus ihm gewichen ist.
Ich lasse den Stein los und greife mit der rechten Hand nach dem Medaillon an meinem linken Handgelenk. Der Schlangenstein gemahnt mich daran, dass ich eine Schwester bin, dass das Licht der Schwestern auf Altus und all jener, die vor ihnen und mir gelebt haben, durch meine Adern fließt.
Aber ignorieren kann ich das Medaillon nicht, denn es gehört zu mir, zu meinem Leben, meinem Schicksal. Es flüstert dem Teil von mir zu, der verborgen
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