Magie und Schicksal - 2
angenehme und gelassene Haltung. Und doch werfe ich immer wieder verstohlene Blicke in ihre Richtung. Ich kann nicht vergessen, dass auch ihr Gesicht mir im Traum erschien, dass auch sie mit den anderen
Schlüsseln und mit meiner Schwester einen Kreis bildete, dass auch sie mich voller Hass betrachtete. Ich kann es nicht vergessen und frage mich, ob Brigid am Ende wirklich meine Feindin werden wird.
Ob der Traum eine Vorschau auf Ereignisse war, die tatsächlich eintreffen werden.
Die Vorstellung, dass ich den Verstand verliere, ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Ich versuche, mich zu beruhigen, rede mir ein, dass nicht jeder Mensch auf dieser Erde mein Feind ist. Und sosehr unsere Freundschaft auch gelitten hat, ist selbst Sonia nicht meine Feindin.
Es ist die Prophezeiung , denke ich. Die Seelen. Samael. Meine eigene Schwäche. Meine eigene Dunkelheit.
Seit jener Nacht, in der ich von Avebury träumte, werden die Bilder und Gefühle, die ich im Schlaf erlebe, immer intensiver. Die Dunkelheit, die von allen Seiten auf mich eindrängt, schnürt mir die Luft ab, als ob ich bereits im Grab liegen und versuchen würde, mich mit bloßen Händen aus der Erde zu graben.
Als ob schon alle Hoffnung verloren wäre.
Brigid war froh, die Last des Steins loszuwerden, und ich trage ihn seit dem Tag, an dem wir die Wahrheit über uns erfahren haben, in dem Seidensäckchen an meinem Busen. Ich hatte gehofft, dass er mir Kraft verleihen würde, jetzt, wo ich den Schutz von Tante Abigails Schlangenstein verloren habe, aber er ist nichts weiter als ein kalter, schwerer Klotz an meinem Hals.
Ich habe mir angewöhnt, mich kerzengerade zu halten
und eine Maske aus Gelassenheit über die Erschöpfung und die Angst zu legen, die sich durch mein Inneres fressen. Aber ein Teil von mir ist sich darüber im Klaren, dass mein Täuschungsmanöver nur meinen Stolz befriedigt. Sosehr ich mir auch den Anschein von Stärke geben will, kann es keinen Zweifel daran geben, dass Dimitri über meine Qualen Bescheid weiß. Er ist es, der nachts, wenn ich schreiend aufwache, ins Zelt gerannt kommt. Er ist es, der mich festhält, bis ich wieder einschlafen kann.
Trotzdem will ich nicht in den tiefen traumlosen Schlaf fallen, den ich so nötig bräuchte. Mein Geist bleibt wachsam, auch in der Dunkelheit der Nacht. Pfeil und Bogen und auch der Dolch meiner Mutter sind mir in diesen düsteren Stunden kein Trost, obwohl ich sie immer greifbar habe. Ich lebe mit der wachsenden Gewissheit, dass ich eines Morgens aufwache und das schwarze Samtband um mein anderes Handgelenk gewickelt vorfinde, das Medaillon mit der Jormungand auf dem Mal auf meiner Haut.
Am Nachmittag des vierten Tages reiten wir aus dem Wald und sehen vor uns eine Straße, die sich durch die Felder windet – entlang einer ganzen Reihe einladender Wirtshäuser. Ein salziger Geruch liegt in der Luft, und es dauert nicht lang, bis wir von einem Hügel aus auf Dublin und die Küste hinunterblicken können.
Ich wende mich zu Dimitri. »Wird Gareth uns wieder übers Meer fahren?«
»Wenn alles gut geht.« Dimitri treibt sein Pferd an.
Ich sage nichts zu der Unsicherheit in seiner Stimme.
Wir wissen beide, dass, wo immer die Prophezeiung im Spiel ist, alles möglich ist. Ich vertreibe die Angst, dass Gareth etwas zugestoßen sein könnte, aus meinem Kopf, aber trotzdem atme ich auf, als wir den Hafen erreichen und ich ihn am Ufer neben dem Boot stehen sehe. Zum ersten Mal seit etlichen Tagen stiehlt sich ein Lächeln auf mein Antlitz.
»Gareth!«
Als wir die Pferde vor Gareth zügeln, weicht das Lächeln einem Ausdruck blanker Sorge. »Mylady … geht es dir gut? Ist irgendetwas geschehen?«
Ich hebe den Kopf und sitze steif im Sattel. Seine Bemerkung ist mir peinlich. »Ich bin bloß müde, das ist alles. Ich schlafe schlecht bei dieser Kälte.«
Er neigt den Kopf. »Gewiss, Mylady. Du bist liebreizend, wie immer. Und nach einer solchen Reise wäre jeder müde.« Seine Worte wollen mich besänftigen, aber ich sehe den Blick, den er in Dimitris Richtung wirft, und ich weiß, dass sie später über mich reden werden, wenn ich nicht in der Nähe bin, aus Rücksicht auf meine Gefühle.
Ich wechsle das Thema und erkläre ihm kurz Brigids Anwesenheit. »Du erinnerst dich sicher an Miss O’Leary. Sie wird uns nach London begleiten.« Mir fällt ein, dass sie keine Ahnung hat, welche Rolle Gareth bei der ganzen Sache spielt, und ich wende mich zu ihr. »Gareth ist ein Freund von Dimitri
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